Büchertisch über die Themen Antisemitismus und Rassismus

Im Spannungsfeld von Antisemitismus und Rassismus

Wenn unterschiedliche Perspektiven aufeinandertreffen, kann es in komplexen Themenfeldern wie dem Verhältnis von Antisemitismus und Rassismus zum Gesprächsabbruch kommen. Wie kann man dies verhindern?

Pinselstrich

Wo über Antisemitismus und Rassismus gesprochen wird, da entwickeln sich oftmals Emotionen. Persönliche Erfahrungen prägen den Gesprächsverlauf und die geführten Debatten sind nicht selten polarisierend und hitzig, wenn beide Themen verglichen werden. Mit dem Projekt "Zusammen_denken, zusammen handeln" des Vereins BildungsBausteine soll eine konstruktive Auseinandersetzung über Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Spannungsfelder der antisemitismus- und rassismuskritischen Bildung gefördert werden. Das Projekt richtet sich dabei an pädagogische Fachkräfte sowie Fachkräfte aus der Sozialen Arbeit, Verwaltung, Medien- oder Projektarbeit, die auf eine kritische, aber solidarische Weise ins Gespräch kommen.

Beziehungen zwischen Antisemitismus und Rassismus

"Die Spannungsfelder zwischen Antisemitismus und Rassismus entstehen dort, wo Antisemitismus- und Rassismuskritik mit ihren unterschiedlichen theoretischen Bezügen und den daraus resultierenden unterschiedlichen Perspektiven auf das Weltgeschehen aufeinandertreffen", sagt Susanna Harms vom Projektteam. "Es geht um grundlegende Fragen, zum Beispiel: In welcher Beziehung stehen die Phänomene von Antisemitismus und Rassismus zueinander? Ist das eine bedeutsamer oder gar schlimmer als das andere?" Ein Spannungsfeld findet sich unter anderem in der Erinnerungspolitik oder im Israel-Palästina-Konflikt wieder.

Ein weiteres Spannungsfeld bedingt sich durch den Umstand, dass "Antisemitismus bereits als gesellschaftliches Problem anerkannt scheint, was bei Rassismus nicht in derselben Form der Fall ist", so Iven Saadi aus dem Projektteam. Und er ergänzt: "Was wir in jüngerer Zeit verstärkt wahrnehmen ist, dass Antisemitismus- und Rassismuskritik als ein Entweder-oder verstanden werden, das heißt man ist entweder aufmerksam für Antisemitismus oder Rassismus – beides zusammen scheint nicht zu gehen. Und das ist etwas, dem wir entgegensteuern wollen."

In zweitägigen Fortbildungen lernen pädagogische Fachkräfte sowie Multiplikatorinnen und Multiplikatoren im Bildungsbereich oder der Kinder- und Jugendarbeit mehr über einen konstruktiven Umgang mit den Spannungsverhältnissen von Antisemitismus und Rassismus. Die Projektarbeit findet in Berlin, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sowie online statt und wird durch niedrigschwellige Materialien ergänzt. 

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Das Projekt "Zusammen_denken, zusammen handeln" setzt sich für einen konstruktiven Austausch zum Thema ein.

Logo Zusammen_denken, zusammen handeln
Flipchart mit Wünschen an die Fortbildung, unter anderem mit den Punkten: "wertschätzender und wohlwollender Umgang", "Freundlichkeit gegenüber Fehlbarkeiten", "interessierter Blick auf eigene Emotionen"
Wünsche für die Fortbildung, Bild: Zusammen_denken, zusammen handeln

Zwischen Kompetenzentwicklung und gesellschaftlichem Diskurs

Die Projektarbeit fokussiert sich auf drei Schwerpunkte:

  • Es geht um die Kompetenz- und Wissensentwicklung in den Themenfeldern: Was sind eigentlich Rassismus und Antisemitismus? Wie und wo wirken diese Themen? Dabei spielt die innere Haltung der Teilnehmenden in der Fortbildung eine sehr wichtige Rolle. Dazu gehört es, die Bedeutung von Antisemitismus und Rassismus anzuerkennen und die Bedeutung von nicht polarisierenden Ansätzen zu verstehen.

  • Es geht um Fachaustausche, in denen Fachkräfte aus der Pädagogik und dem zivilgesellschaftlichen Engagement entlang der Schnittfelder von Rassismus und Antisemitismus zusammengebracht werden.

  • Es geht um den gesellschaftlichen Diskurs, daher sollen Podcastfolgen, Webtalks, kurze Fachtexte und visuelle Produkte zur Verfügung gestellt werden. "Wir wollen, über die direkte Arbeit mit den Fachkräften hinaus, versuchen, die gesellschaftlichen Diskurse im Sinne unserer Projektziele zu beeinflussen", so Susanna Harms.

Auseinandersetzung stärken

Um eine konstruktive Auseinandersetzung über Antisemitismus und Rassismus zu ermöglichen, ist es wichtig, die Emotionen und persönlichen Erfahrungen aller Teilnehmenden anzuerkennen, zum Beispiel durch Biografiearbeit. "Das ist ein zentrales Element, um Lernräume so zu gestalten, dass wir anders über diese Themen sprechen, als es in öffentlichen Diskursen üblich ist", so Iven Saadi. Dies führe oft zu positiven Rückmeldungen, denn erst dadurch bestehe die Chance, trotz nicht identischer Positionen, im Gespräch zu bleiben.

Büchertisch über die Themen Antisemitismus und Rassismus
Büchertisch in einer Fortbildung, Bild: Zusammen_denken, zusammen handeln

Die Teilnehmenden werden in den Fortbildungen pädagogisch und didaktisch gestärkt, nicht allein im eigenen Sach-, sondern vor allem im Prozesswissen. So lernen sie unter anderem eigene Gesprächsräume zu gestalten. "Die Beziehung der Teilnehmenden untereinander hat zudem eine große Bedeutung. Wir müssen auf die komplexe Beziehung innerhalb der Gruppe, aber auch zu uns als Leitenden achten." Das Projektteam ist sich dabei bewusst, dass die Fortbildungen keine Lernumgebung wie zum Beispiel im schulischen Kontext ermöglichen. Die Teilnehmenden wünschen sich daher vor allem, in ihren Institutionen unterstützt zu werden, um das Erlernte zu teilen und anzuwenden.

Multiperspektivisch arbeiten

Die Arbeit des Projektteams ist multiperspektivisch geprägt, auch um einen Eklat gleich am Anfang zu vermeiden. "Das erfordert, dass die Menschen einander anhören, zuhören, ohne sofort in den Konflikt zu gehen. Wir haben detaillierte Konzepte, um die Anfangszeit solch einer Fortbildung zu gestalten", sagt Iven Saadi. Die lange "Ankommensphase" ermöglicht, dass die Menschen nicht polarisierend ins Gespräch gehen, sondern im Sinne eines Braver Spaces einerseits mutig und zugleich grundsätzlich mit Wohlwollen füreinander an schwierigen Themen arbeiten können.

Braver Spaces schaffen

"Wenn es um die Arbeit zu kontroversen Themen geht, dann werden nicht allein Safer Spaces benötigt, sondern auch mutigere Räume", so Iven Saadi. Nicht immer sei es einfach, über unangenehme, komplizierte Themen zu sprechen. In Braver Spaces begegnen sich die Menschen mit einem gewissen Wohlwollen, auch wenn Streit erwartet wird.

Häufig kommen in den Fortbildungen Menschen zusammen, die sich durch ihre Erfahrungen im Beruf oder Alltag eher parteiisch für eine Seite zeigen. In der Pädagogik ist dies schwierig, auch im Kontext des Beutelsbacher Konsens. Die Veranstaltungen vermitteln darum die Möglichkeit, bei schwierigen Auseinandersetzungen nicht zu erstarren, sondern Haltung zu zeigen, ohne zu polarisieren.

"Wir unterscheiden hier zwischen dem politischen und pädagogischen Handeln. Wo im politischen Feld eine Positionierung oder Distanzierung nötig ist, ist das im pädagogischen Feld nicht unbedingt immer die erste Handlungsmöglichkeit. Die Themen müssen hier anders bearbeitet werden", sagt Susanna Harms. Letztlich können so im pädagogischen Raum Beziehungsabbrüche vermieden und weiterhin Gespräche konstruktiv geführt werden.


Veröffentlicht im Dezember 2023

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