Ausschnitt aus dem Stadtplan zeigt das Schlossmuseum und den Neideckturm

Stadtgeschichte erleben – ohne Barrieren

Der inklusive Stadtplan von Arnstadt zeigt zwei barrierearme Touren zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt. Diese sind auf Herz und Nieren von Menschen geprüft, die tagtäglich mit den mobilen Einschränkungen in ihrer Stadt umgehen müssen.

Pinselstrich

Rathaus, Neideckturm und Bachkirche – in Arnstadt gibt es nach so mancher Straßenbiegung Geschichtsträchtiges zu entdecken. Im ältesten Ort Thüringens führen historische Baudenkmäler und Fachwerkhäuser in die Vergangenheit. Kopfsteinpflaster und Bordsteinkanten haben da natürlich Charme, machen es für Menschen mit Rollstühlen und Gehhilfen aber schwierig, den abwechslungsreichen Touristenpfaden zu folgen.

Darum hat sich ein zehnköpfiges Projektteam aus der Werkstatt am Kesselbrunn, einer Einrichtung des Marienstifts Arnstadts, und dem Verein "kult-werk inklusiv" zusammengefunden, um ihre Stadt ein Jahr lang gemeinsam auf Barrieren zu erkunden. Dabei ist ein bunter, inklusiver Stadtplan entstanden, der bei seiner Entstehung unter anderem von der Partnerschaft für Demokratie Ilm-Kreis gefördert wurde.  

Lieblingsorte entdecken

Die erste Frage für das Projektteam war: Was ist dein Lieblingsort von Arnstadt? Zu diesem Ort, zum Beispiel dem Neideckturm, ist das Team dann gemeinsam aufgebrochen. "Uns war wichtig zu wissen, was wir daran spannend finden – so wie es im Stadtplan jetzt zu lesen ist", sagt das Projektteam. Sie haben Zugangsmöglichkeiten geprüft, viel über ihre Eindrücke geredet und Wissenswertes auch mit Expertinnen und Experten der Stadthistorik recherchiert und erarbeitet, unter anderem zu den Schicksalen hinter den Stolpersteinen. Im Stadtplan kann so zum Beispiel nachgelesen werden, warum Arnstadt eigentlich Adlerstadt heißt.

Mehr zum Projekt

Die Informationen zu einzelnen Stationen in Arnstadt können auf www.kult-werk-inklusiv.de angehört werden.

Cover des Stadtplans mit Zeichnungen des Projektteams
Rollstuhlfahrer schaut auf den inklusiven Stadtplan von Arnstadt
September 2023: Vorstellung des Stadtplans im Rathaus, Bild: Andreas Kubitza, "Inklusive Werkstatt für Kultur und Geschichte e. V."

Das Team hat schließlich selbst Bilder zu den Sehenswürdigkeiten gemalt und diese erst einmal auf einem 3D-Modell des Stadtplans positioniert. Die Grafikerin an ihrer Seite ergänzte hier und da, aber die individuellen Wahrnehmungen sind im fertigen Plan festgehalten. "Wir haben beschlossen, dass nicht erkennbar sein soll, wer was gemalt hat. Es darf alles nebeneinander sein!" Mit kleinen Rollstuhl-Icons und Warnschildern wird zudem schnell ersichtlich, an welcher Station es recht holprig wird. "Es gibt gigantische Bordsteinkanten in Arnstadt", erzählt das Projektteam und ein Raunen geht durch ihre Mitte.

Digitale Barrieren in der Umsetzung

Ursprünglich wollten ihre Förderer, Unterstützerinnen und Unterstützer ein digitales Projekt in Actionbound-Form, also einem multimedialen Abenteuer, umsetzen. "In unserer Gruppe hatten von zehn Personen zwei ein Smartphone. Die Idee war gut, aber die Barrierefreiheit nicht gegeben", so das Projektteam. Die Entscheidung fiel deshalb auf einen Stadtplan aus Papier, denn dieser ist praktisch und lässt sich gut verteilen.

Eine digitale Idee ist jedoch enthalten: Per QR-Code können die einzelnen Stationen gescannt werden und zu hören sind dann die einzelnen, individuellen Eindrücke zu den Sehenswürdigkeiten. "Es hat sich nicht irgendwer, irgendwie mit dieser Stadt beschäftigt. Alle haben ihre Meinung", sagt das Projektteam. "Mit den O-Tönen wird klar, wer gerade etwas sagt."

Smartphone auf dem steht: "Hier hörst Du Station 7: Oberkirche"
Audioguide zum inklusiven Stadtplan mit den Stimmen des Projektteams, Bild: Andreas Kubitza, "Inklusive Werkstatt für Kultur und Geschichte e. V."

Barrierearme Zugänge

Das Bewusstsein für Barrieren ist noch nicht überall vorhanden, aber bei der Konzeption des neuen Marktplatzes wurde auf ein barrierearmes Kopfsteinpflaster geachtet und Bodenwellen durch die Stromversorgung vermieden.

Die Projektarbeit hat aber deutlich gemacht: es gibt in der Innenstadt noch zu wenig barrierearme Räume, die zur Teilhabe am Stadtleben einladen. Weil es keine barrierefreien Eingänge gibt, ist es oft unmöglich in Geschäfte zu kommen. "Es gibt ein Café in einem Einkaufszentrum außerhalb der Stadt. Ansonsten gibt es keine barrierefreien Cafés", berichtet das Team. Im Sommer kann zwar im Außenbereich eines Restaurants Platz genommen werden, aber oft fehlt es an barrierefreien Toiletten. Die wenigen barrierefreien, öffentlichen Toilettenanlagen sind deshalb auch im inklusiven Stadtplan vermerkt.

"Was sich ergeben hat: Wir träumen von einem inklusiven Café in Arnstadt. Am allerliebsten möchten wir es auch inklusiv betreiben." Für Menschen mit mobilen Einschränkungen besteht dann nicht bloß die Möglichkeit, sich bei Regen im Rathaus unterzustellen, sondern es gäbe auch einen Ort für einen Kaffee und Aufenthalt in der Innenstadt. Das nächste Ziel sind aber erst einmal drei eigene, öffentliche Stadtführungen – zugänglich für alle.


Veröffentlicht im Januar 2024

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