Hände, Tablet, Unterlagen

Escape-Rooms gegen Extremismus

In der Freizeit sind Escape-Rooms ein Rätselspaß. In der Schule kann das Spielprinzip helfen, Zusammenhänge besser zu verstehen. Zum Beispiel bei der Frage, warum sich junge Menschen radikalisieren.

Pinselstrich

Hannah und Jonathan sind verschwunden, Freunde und Eltern sind ratlos. Keiner weiß, wo sie sind oder was passiert ist. Die Schreibtische der beiden könnten aber erste Indizien liefern. So beginnen die zwei neuen mobilen Escape-Rooms des Helden e. V., die durch pädagogisches Storytelling im Schulunterricht eingesetzt werden. Es geht in dem neuen Projekt "Escape the extremism" um Wissensvermittlung und Sensibilisierung in den Bereichen Rechtsextremismus und islamistischer Extremismus.

"Ziel ist es, Prävention gegen Extremismus zu machen. Wir haben gemerkt, dass wir in den letzten Jahren eine sehr deutliche Spaltung in der Gesellschaft erleben. Damit einhergehend entsteht eine große Unsicherheit in der Identitätsfindung bei Kindern und Jugendlichen", sagt Sven Fritze vom Helden e. V. Mittlerweile bietet der Verein vier Escape-Rooms für Schülerinnen und Schüler sowie Fortbildungen für Lehrkräfte und Gesprächsangebote für Elternabende an.

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Mit dem Projekt "Escape the extremism" wurden zwei mobile, pädagogische Escape-Rooms zum Thema Extremismus entwickelt.

Logo Helden – Verein für Nachhaltige Bildung und Persönlichkeitsentwicklung e. V.

"Ziel ist es, Prävention gegen Extremismus zu machen. Wir haben gemerkt, dass wir in den letzten Jahren eine sehr deutliche Spaltung in der Gesellschaft erleben. Damit einhergehend entsteht eine große Unsicherheit in der Identitätsfindung bei Kindern und Jugendlichen."

Sven Fritze, Vorstandsvorsitzender Helden e. V.

Schwerpunkt Extremismus

In den zwei älteren Escape-Rooms können sich Schülerinnen und Schüler mit Cybermobbing in der Schule auseinandersetzen, im neuen Projekt liegt der Schwerpunkt nun auf dem Themengebiet Extremismus. "Rechtsextremismus erstarkt in Deutschland, das haben wir mitbekommen", sagt Sven Fritze. "Der Bereich islamistischer Extremismus war etwas, was mich besonders bewegt hat, weil ich die Geschichte von Leonora Messing verfolgt habe." Die junge Frau hat sich 2015 dem Islamischen Staat (IS) angeschlossen. Ihr Vater hat um sie gekämpft, stand immer wieder mit ihr in Kontakt, bis sie nach sieben Jahren zurückgekehrt ist. Die Geschichte der damals 15-Jährigen wurde in Dokumentationen und Podcasts festgehalten. "Es hat mich so mitfühlen lassen. Wenn wir Kindern und Jugendlichen dieses Schicksal ersparen können, weil sie im Vorfeld merken, das ist keine gute Idee, dann ist das eine gute Motivation."

Ein Rätsel im Workshopformat

Die neuen mobilen Escape-Rooms führen in die Welt von Hannah und Jonathan. Für die Geschichte wird das Rätselprinzip von klassischen Escape-Rooms genutzt, die Freundeskreise sonst in ihrer Freizeit spielen. In der Schule gibt es eine pädagogische Begleitung und die "Räume" sind in einen mehrtägigen Workshop eingebunden. "Im Grunde gehen die Schülerinnen und Schüler an den Schreibtisch von Hannah beziehungsweise Jonathan und können alles durchwühlen. Sie finden vielleicht eine Zeitung oder ein Notizbuch – was auch immer. Verschiedene Dinge, die dort liegen, zeigen etwas von der Persönlichkeit dieser fiktiven, jungen Menschen, die verschwunden sind."

Mobiler Escape-Room: vier junge Menschen am niedrigen Tisch mit vielen Utensilien
Mobiler Escape-Room mit vier jungen Menschen an einem Tisch mit Unterlagen, Tablet und weiteren Utensilien, Bild: Helden – Verein für Nachhaltige Bildung und Persönlichkeitsentwicklung e. V.

Hier lösen die Jugendlichen kleine Rätsel, durch die die einzelnen Erzählebenen sichergestellt werden. Es gibt ein Tablet, Notizen, unterschiedliche Apps oder einen E-Mail-Account. Mit den Utensilien setzt sich schließlich die Geschichte in rund 90 Minuten zusammen. Diese wird in Vor- und Nachbereitungsphasen mit den Schülerinnen und Schülern reflektiert, Fragen werden angesprochen: Wie konnten sich Hannah und Jonathan radikalisieren? Was hat die Schülerinnen und Schüler in der Geschichte berührt? Und was nehmen sie daraus mit? "Unsere Hoffnung ist, wenn Kinder und Jugendliche vielleicht einmal selbst in solche Situationen kommen, erinnern sie sich vielleicht an den Escape-Room und merken: Oh Moment, ich glaube, ich weiß, was hier vorgeht", sagt Sven Fritze. Es drehe sich alles darum, dass die jungen Menschen eine mündigere Entscheidung treffen, weil sie Mechanismen von Radikalisierung durchschauen können.

Ängste und Wünsche ansprechen

Die Schülerinnen und Schüler beschäftigen sich aber auch mit der Phase der Identitätsfindung und lernen mehr über Beziehungszusammenhänge in Gruppen. "Im Rahmen der Identitätsfindung gibt es irgendwann die Entwicklungsaufgabe in der Adoleszenz, dass man sich als Teil einer Gruppe zugehörig fühlt, die einen so akzeptiert, wie man ist", sagt Sven Fritze. Dabei seien Kinder und Jugendliche, die Ausgrenzung erfahren haben und sich alleine fühlten, anfälliger für radikale Bereiche. Mit den mobilen Escape-Rooms gibt es einen geschützten Ort, um über Ängste und den Wunsch nach Verbundenheit zu sprechen.

Mobiler Escape-Room: Tisch mit Utensilien
Improvisierter Schreibtisch eines Escape-Rooms, Bild: Helden – Verein für Nachhaltige Bildung und Persönlichkeitsentwicklung e. V.

Die Lehrkräfte nehmen in den zwei bis drei Workshop-Tagen eine beobachtende Rolle ein. Sie erhalten die Chance, ihre Schülerinnen und Schüler abseits von Mathe und Erdkunde zu sehen. "Der Kern all unserer Workshops – egal ob Cybermobbing, Extremismusprävention oder das Etablieren demokratischer Werte – ist ein Normen- und Werterahmen, in dem niemand Angst vor Ausgrenzung, Gewalt, Rassismus haben muss." Das Team des Helden e. V. kann aber nur Impulse für das Thema geben, daran weiter anzuknüpfen, ist Aufgabe der Lehrkräfte und Eltern, für die der Verein Fortbildungen anbietet, um einen möglichst systemischen Ansatz umzusetzen.

"Räume" mit Liebe zum Detail

Die zwei Escape-Rooms mit den Geschichten rund um Hannah und Jonathan sind mit vielen Details ausgestattet. Sie spielen zum Beispiel in der gleichen Schule wie die vorherigen Escape-Rooms und es gibt auch sogenannte Easter Eggs, die etwa in Computerspielen einen besonderen Wert haben. Es sind kleine Informationen, die die Geschichte nicht beeinflussen, aber die Liebe zum Detail verdeutlichen, so zum Beispiel der Verweis auf das Videospiel "Dunkle Schatten" aus den 90er-Jahren.

Momentan sind die beiden Escape-Rooms über Rechtsextremismus und islamistischen Extremismus in der letzten Entwicklungsphase, so wird beispielsweise für ein Handy, das als Utensil im Spiel vorkommt, noch eine Software installiert, um fiktive Chatverläufe nachzuverfolgen. Schulen können sich aber bereits bewerben. "Was uns Angst macht, ist die Erstarkung von extremistischen Tendenzen auf allen Seiten. Und was mir Sorge bereitet, ist die Spaltung in der Gesellschaft, weil Menschen nicht mehr miteinander reden. Ich hoffe, dass die Escape-Rooms die Möglichkeit geben, wieder ins Gespräch zu kommen, um einen Schritt aufeinander zuzugehen."


Veröffentlicht im März 2024

Dieser Beitrag ist Bestandteil des Themenmonats "Perspektivwechsel".

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