Das Bild zeigt mehrere Kinder, die ihre Fäuste mit den grünen Makkabi-Bändern im Kreis zusammenhalten. Bild: Dieter Roosen/Makkabi

Zusammen gegen Antisemitismus im Sport

Das Projekt "Zusammen1" stellt sich Diskriminierung im Sport entgegen. Über die Homepage gibt es Unterstützung und auch eine Meldestelle bei Vorfällen.

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Antisemitismus ist im Fußball keine Seltenheit. Auch Sportlerinnen und Sportler anderer Sportarten sind von antisemitischen Äußerungen oder gar körperlichen Bedrohungen betroffen. Das Projekt "Zusammen1" des jüdischen Turn- und Sportverbands Makkabi Deutschland ist seit 2021 eine Anlaufstelle bei antisemitischen Vorfällen im Sport. Der Projektstart wurde von der Studie "Zwischen Akzeptanz und Anfeindung" begleitet, in der persönlicher Betroffenheit, dem Sicherheitsempfinden, aber auch der Bewertung der Antidiskriminierungsarbeit der Sportverbände nachgegangenen wurde.

Im Gespräch mit "Demokratie leben!" berichtet Lasse Müller, Bildungsreferent und Autor der Studie, über Antisemitismus im Sport.

Was ist das Ziel von "Zusammen1"?
Wir verstehen uns als Projekt an der Schnittstelle zwischen dem organisierten Sport und der antisemitismuskritischen Bildungsarbeit. Wir betreiben Antisemitismusprävention im Sport und wollen gleichzeitig strukturelle Verbesserungen herbeiführen.

Kern des Projekts sind drei Säulen: Verstehen. Vermitteln. Verändern. Das Verstehen meint konkret die empirische Sozialforschung im Bereich Antisemitismus im Sport. Das Vermitteln bezieht sich auf unser Angebot pädagogischer Maßnahmen, das heißt wir arbeiten mit Teams auf dem Platz und wollen in sportliche Übungen eingebettet die Haltung schulen und zivilgesellschaftliche Bildungsinhalte vermitteln. Künftig wollen wir das auch sportartübergreifend anbieten. Die dritte Säule ist das Verändern. Hier geht es um Regelstrukturen im organisierten Sport, denn da gibt es im Moment Defizite, zum Beispiel beim Reporting von Vorkommnissen auf dem Platz.

Worin unterscheidet sich die Arbeit von anderen Organisationen?
Im Bereich des organisierten Sports ist es ein einzigartiges Projekt. Die antisemitismuskritische Arbeit beschäftigt sich vorrangig mit Erinnerungsarbeit, aber im Bereich der gegenwärtigen Facetten des Antisemitismus im Sport gibt es noch relativ wenig.

Wir überführen die Ergebnisse empirischer Sozialforschung in konkrete Bildungsmaßnahmen. Im Rahmen unserer Recherchen haben wir lediglich zwei, drei Leuchtturmstudien zum Thema ausfindig gemacht. Es gab bis zu unserer Auftaktstudie keinerlei belastbare Zahlen zum Vorkommen von Antisemitismus im Sport – gerade im Amateursportbereich. In unserer Studie haben wir das jetzt für die Makkabi-Vereine beleuchtet und so wollen wir auch weiterarbeiten. Zudem können über unsere Website Vorfälle aus dem Sport gemeldet werden. Wir bieten Beratung und Schulungsmaßnahmen an.

Welche Rolle spielen demokratische Werte im Sport und umgekehrt?
Konkret in der Sportsoziologie wird der Sport gern als Spiegel oder vielmehr als Brennglas der Gesellschaft bezeichnet. Was auf den Sportplätzen passiert, ist sehr häufig ein guter Indikator für gesamtgesellschaftliche Entwicklungen. Andererseits hat der Sport die riesige Chance für den Transport von demokratischen und zivilgesellschaftlichen Werten, weil Begegnungen geschaffen werden, die es so gesellschaftlich nicht oft gibt.

Oft wird aber davon ausgegangen, wenn Personengruppen zusammen Sport treiben, passiert Integration und der Abbau von Diskriminierung und Vorurteilen automatisch. In der Realität, das zeigen verschiedenste Studien, muss es dafür ein Konzept geben. Die Chance ist aber durchaus riesengroß, vom Sport ausgehend, wichtige Impulse für die Gesellschaft zu setzen.

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Die Studie "Zwischen Akzeptanz und Anfeindung – Antisemitismus­erfahrungen jüdischer Sportvereine in Deutschland" ist der Auftakt eines langfristigen Forschungsvorhabens, um Antisemitismus im Sport analytisch nachzugehen.

Titelbild der Studie "Zwischen Akzeptanz und Anfeindung", Cover: Zusammen1

Wie tritt Antisemitismus im Sport auf?
In den verschiedensten Facetten. Wir haben unter den Makkabi-Mitgliedern eine Quote von 39 Prozent festgestellt, die mindestens einmal von einem persönlichen Vorfall betroffen waren. Deutlich stärker zeigt sich das aber im Fußball, denn da sind es 68 Prozent. Interessant ist, das sowohl jüdische als auch nicht-jüdische Makkabi-Mitglieder in regelmäßiger Häufigkeit persönlich von einem Vorfall betroffen waren.

Die Art der Vorfälle reicht von subtilen Andeutungen, zum Beispiel im Kontext von Verschwörungstheorien und modernem Antisemitismus, bis hin zu physischen Attacken, die viel präsenter sind als in anderen Alltagsbereichen. Was wenig überraschen mag, da zum Beispiel im Fußball das aggressive Spiel irgendwie Teil der Kultur, ja verankert ist. Der Schwellenübertritt zum physischen Angriff ist viel niedriger als im normalen Alltag.

Finden Vorfälle nur auf dem Platz statt?
Die Vorfälle finden sowohl auf als auch abseits des Platzes statt. In der Studie haben wir konkret nachgefragt. Grundsätzlich gibt es außerhalb der Anlagen vor allem Vorfälle im Bereich der Beleidigung, die teils extrem heftig sind. Ein Beispiel: Ein Jugendlicher war in Makkabi-Kleidung in einem Geschäft. Er wollte etwas wegbringen, auf der Quittung stand nicht seine Adresse, sondern Holocaust-Straße. Das zeigt eine Qualität an Vorfällen – sogar fernab der Anonymität – die auch mich als Forschenden sehr bedrücken.

Was können Sportlerinnen und Sportler tun, wenn sie mit Antisemitismus konfrontiert werden?
Es geht zunächst einmal darum, einen Vorfall auch als solchen zu erkennen. Das ist bei subtilen Andeutungen mit Verschwörungsmythen nicht immer einfach. Ein großer Teil des Problems ist es, dass Vorfälle gar nicht erkannt werden. Setzen wir das voraus, ist es das Bestmögliche in der Situation klar zu widersprechen – ohne sich dabei in Gefahr zu begeben – und andere Menschen zu suchen, zum Beispiel durch das Aktivieren von potenziellen Verbündeten. Es ist wichtig, sich das Geschehene genau zu merken und später eine Meldung an den Fachverband und auch an eine außersportliche Meldestelle wie dem Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen, also über RIAS, zu geben.

Wir haben in der Studie ein extremes Underreporting festgestellt. Das ist ganz interessant, weil ein klassischer Vorwurf, mit dem Makkabi konfrontiert wird, ist, dass über jeden noch so kleinen Vorfall medial berichtet werden würde. Die Studie zeigt das Gegenteil. Nur etwa jeder Dritte hat selbst nach einem besonders eindrücklichen Vorfall eine Meldung an den organisierten Sport vorgenommen. Die Gründe dafür sind Müdigkeit, aufgrund der Häufigkeit der Vorkommnisse, aber auch fehlendes Vertrauen in die Arbeit der Verbände. Letztlich glauben viele eben nicht, dass eine Meldung noch etwas bringt.

Auf dem Plakat zur Aktion "Für das, was uns verbindet" ist eine Jugendliche auf einem Fußballplatz zu sehen, die frustriert in die Kamera schaut. Der Text lautet: "Mit Niederlagen musst du klarkommen. Mit Hetze nicht." Bild: Dieter Roosen/Makkabi
Plakat "Für das, was uns verbindet", Bild: Dieter Roosen/Makkabi

Wie unterstützt "Zusammen1" die Sportlerinnen und Sportler?
Wir versuchen einerseits auf allen Ebenen für das Thema zu sensibilisieren, was im Jahr 2021 eine traurige Aussage ist. Andererseits ist das Erkennen die zentrale Problematik. Wir haben durch die Ehrenamtsstrukturen im Sport viele Punkte, die nicht ausreichend fürs Thema geschult sind. Seien es Schiedskräfte, Sportgerichte oder das Publikum. Wir sind als Projekt so realistisch, dass wir es perspektivisch nicht schaffen werden, den Antisemitismus von den Sportplätzen zu verbannen. Was aber realistisch ist: Das immer mindestens eine Person anwesend ist, die widerspricht, Haltung zeigt und bestmöglich das Geschehene dokumentiert.

Wie geht es mit "Zusammen1" weiter?
Der Optimismus ist ungebrochen. Wir haben wirklich das Gefühl, dass es ein Bewusstsein für das Thema gibt. Ein perfektes Beispiel dafür sind die neu geschaffenen Anlaufstellen für Diskriminierung und Gewalt des Deutschen Fußball-Bundes, mit dem wir im engen Austausch stehen. Wir treffen im Bereich Prävention zudem auf viele Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, die interessiert sind und unsere Inhalte weitertragen. Das werden wir in den kommenden drei Jahren stärken und hoffen sehr, dass es auch darüber hinaus mit dem Projekt weitergehen kann.


Veröffentlicht im Oktober 2021