Blick durch eine Videokamera

"Das ganze Leben in einem Koffer"

Warum sind Menschen auf der Flucht? Vier Menschen erzählen in einem Videoprojekt der Partnerschaft für Demokratie in Birkenfeld über ihre Beweggründe zur Flucht, über ihr Leben in Deutschland und ihren Blick in die Zukunft.

Pinselstrich

Bleiben oder gehen – immer noch ist die Schwere dieser Entscheidung in ihren Gesichtern zu lesen. Der Blick ist leicht entrückt, alle scheinen an jene Tage zu denken, in denen sie ihre Koffer packten. "Ich habe den Koffer dreimal ein- und wieder ausgepackt, weil ich nicht wusste, was ich hineinpacken sollte", sagt Madonna B. vor der Kamera. Zusammen mit Anastasiia B., Ibrahim N. und Maria Y. erzählt sie ihre Geschichte von der Flucht vor dem Krieg.

Warum flüchten Menschen aus ihrer Heimat? In einem Videoprojekt ist das Team des Demokratischen Netzwerks Hunsrück-Hochwald e. V. zusammen mit der Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Birkenfeld dieser Frage nachgegangen. "In den täglichen Nachrichten wird oft in Gruppenbegrifflichkeiten gesprochen, also von 'Flüchtlingen' oder 'geflüchteten Personen' – Einzelschicksale werden leider nur oberflächlich beleuchtet", so das Team des Videoprojekts. Auch wenn in Reportagen die Betrachtung einzelner Personen berücksichtigt werde, so komme es auf Social-Media-Plattformen immer wieder auch zur Konstruktion von Bedrohungsszenarien.

YouTube-Link zum Video

Das Video ist auf dem YouTube-Kanal der Partnerschaft für Demokratie abrufbar.

Startsequenz des Videos mit dem Titel "Das ganze Leben in einem Koffer"
Frau sitzt vor einer Kamera, Reflexschirm im Vordergrund
Anastasiia B. im Interview, Bild: Partnerschaft für Demokratie Landkreis Birkenfeld

Ziel des Videoprojekts

Durch das knapp einstündige Video sollen die Zuschauerinnen und Zuschauer die individuellen Gründe für eine Flucht besser verstehen. Der Film zeigt dabei, dass es nicht nur ein Leben auf der Flucht gibt, sondern auch eines davor und eines danach. Schnell wird dies durch die vier Interviewten deutlich. Sie hatten eine Karriere und Hobbys, eine Wohnung, Freunde und Familie in der Nähe.

Zur Flucht mit ihrer Familie zwang Anastasiia B. der Krieg in der Ukraine. Sie erinnert sich daran, dass sie damals Ende Februar durch Explosionen geweckt wurde, auf den ersten Schreck folgte vielmehr ein Nicht-Begreifen. "Wir hatten etwa zwei Wochen um bewusst abzuwägen, was vor sich geht, um zuzuhören, die Meinung anderer zu erfahren, um sich über die Situation im Land zu informieren", sagt sie. "Dafür hatten wir 14 Tage Zeit, um eine so wichtige Entscheidung zu treffen – nämlich unser Land zu verlassen." Dazu kam schließlich das Wissen, dass eine Flucht sie auch über Russland führen würde.

"Uns war es wichtig, Menschen mit Namen und Einzelschicksalen zu zeigen, die sich zum einen voneinander unterscheiden, aber zum anderen auch Parallelen aufweisen", so das Projektteam des Videodrehs. Die Geschichten von Ibrahim N. und Madonna B. zeigen diese Parallelen. Er floh vor dem Krieg in Syrien unter anderem nachdem sein Auto explodierte. Er sagt: "Es gibt ein Sprichwort. Ein Mensch kostet eine Patrone!"

Madonna B. lebte in der Ukraine einen Monat lang in einer besetzten Stadt, ständig waren Schüsse zu hören. Ihr Mann versuchte sie dann zu beruhigen. "Bei Explosionen und Schüssen schnappte ich mir mein Kind und rannte in den feuchten, nassen Keller. Es war furchtbar." Sie dachte, alles sei in wenigen Tage vorbei, aber die Zeit verging und "wir begriffen".

Volltext-Alternative zu den Grafiken

Sprachliche Herausforderungen

Im Video werden mehrere Fragen aufgeworfen, unter anderem:

  • Was bedeutet für dich Heimat?

  • Was zwang dich zur Flucht?

  • Wie war das Ankommen in Deutschland?

  • Wie ist dein Blick in die Zukunft?

Maria Y. lebt seit acht Jahren im Landkreis Birkenfeld. Sie spricht langsam, ordnet erst ihre Gedanken, um auf die Fragen in einer für sie fremden Sprache zu antworten. Die Sprachbarriere ist auch für Madonna B. eine große Herausforderung. Sie vermisst vor allem die ungezwungenen Gespräche mit Nachbarn. Anastasiia B. fasst diese Situation so zusammen: "Aber es ist immer noch ein fremdes Land, eine fremde Kultur, man fühlt eine Art Unsicherheit, weil man nicht in der Lage ist, Gespräche mit anderen zu führen und mit anderen zu kommunizieren." Für beide konnte Marina Ljalko vom federführenden Amt der Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Birkenfeld übersetzen, denn sonst wäre das Videoprojekt wohl nicht zu Stande gekommen.

Ankommen in Deutschland

Trotz der unterschiedlichen Herkunft vereint alle vier in Deutschland ein Gefühl der Dankbarkeit, aber auch ein Gefühl des Nicht-Willkommen-Seins. "Ich sehe anders aus, ich bin eine Schwarze Frau mit Kopftuch", sagt Maria Y. Warum bist du hier? Das ist eine Frage, die ihr oft gestellt wird. Aber ihr ist es trotzdem wichtig, auch von den Menschen zu erzählen, die ihr bei ihrer Ankunft in Deutschland geholfen haben. Und so geht es auch den anderen, für Ibrahim N. ist die Hilfsbereitschaft der Menschen beispielsweise ein Grund für seine guten Deutschkenntnisse.

Das Team des Videoprojekts resümiert: "Jeder von uns könnte morgen Protagonist eines solchen Videos sein, wenn eine Naturkatastrophe, politische Unruhen oder ein Krieg in unserer Heimat alles auf den Kopf stellen würde. Dies wollten wir mit diesem Video aufzeigen. Eine kleine Identifizierung mit der Situation von Menschen herstellen – mit einer Geschichte, einer Gegenwart, einer Zukunft und einem Namen."


Veröffentlicht im Juni 2023