Studie Antiziganismus im Bildungsbereich

"Antiziganismus im Bildungsbereich. Am Beispiel Schulen und Kitas" - Bericht der Melde- und Informationsstelle Antiziganismus
Titel der Kurzstudie © MIA

Für die aktive politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle gesellschaftliche Teilhabe ist gute Bildung eine wichtige Voraussetzung. Doch nicht alle Menschen haben dieselben Bildungschancen und können dieses Recht wahrnehmen – auch nicht in Deutschland. Dies verdeutlicht die Kurzstudie "Antiziganismus im Bildungsbereich. Am Beispiel Schulen und Kitas" der Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA).

Antiziganistische Diskriminierung sichtbar machen

MIA ist eine bundesweite, zivilgesellschaftliche Anlaufstelle für Betroffene von Antiziganismus. Menschen, die rassistische Vorfälle erlebt oder beobachtet haben, können diese bei MIA melden. Dies geht entweder über ein Online-Meldeformular unter www.antiziganismus-melden.de oder als Text- beziehungsweise Sprach-Nachricht über Telefon oder Social Media – anonym und auf Wunsch auch mit unterstützender Begleitung und Beratung. Die Meldungen werden systematisch erfasst, ausgewertet und fließen in regelmäßige Berichte ein, die das Ausmaß und die Strukturen des Antiziganismus in verschiedenen Lebensbereichen sichtbar machen – etwa in Bildung, Wohnen, Arbeit, Gesundheit, Behördenkontakt oder im öffentlichen Raum.

Zahlen, Daten, Fakten: Antiziganismus im Bildungsbereich

Grundlage der Kurzstudie ist eine Zusammenfassung und Auswertung von insgesamt 484 gemeldeten Vorfällen im Bildungsbereich, die 2023 und 2024 bei der MIA-Bundesgeschäftsstelle und den sechs regionalen Meldestellen verzeichnet wurden. Deren Analyse zeigt: Es gibt vielfach verbale und physische Angriffe, Bedrohungen und Beleidigungen gegenüber Sinti und Roma beziehungsweise gegenüber Menschen, die als Angehörige der Minderheit gelesen werden. Sie richten sich gegen Kinder und Jugendliche, deren Eltern und weitere Familienangehörige sowie gegen Bildungsberatende aus der Minderheit. Ein Großteil der Vorfälle mit Bildungsbezug betrifft die Institution Schule.

Eine Frau schaut einer anderen Frau über die Schulter, die an einem Tisch sitzt und liest.
Amaro Foro Jugendworkshop, Bild: Violeta Balog | Amaroforo.de © Violeta Balog | Amaroforo.de

"Antiziganistische Diskriminierung geht dabei nicht nur von den Mitschülerinnen und Mitschülern aus, sondern auch von den Lehrkräften, Kita- und Schulleitungen, Erzieherinnen und Erziehern, Sozialarbeitenden und Beschäftigten in Behörden wie Jugend- und Schulämtern", sagt Sofia Erto, Referentin bei MIA. Es kommt etwa zu Zuweisungen auf Förderschulen, ohne dass die Kinder und Jugendlichen einen Förderbedarf aufweisen. Des Weiteren müssen laut Studie Kinder von zugewanderten oder geflüchteten Roma oft überproportional lange warten, bis sie überhaupt einen Platz in einer Schule oder einer Kita erhalten.

Die Folgen dieser Benachteiligung und der Angriffe sind weitreichend: "Antiziganistisch motivierte Angriffe können zu Schulangst führen und sogar soweit, dass die Kinder und Jugendlichen dem Unterricht fernbleiben", sagt Sofia Erto. Diesen Zusammenhang erkennen allerdings Schulleitungen mitunter nicht an, heißt es weiter.

Sinti und Roma werden strukturell und institutionell diskriminiert

Die Kurzstudie kommt zu dem Ergebnis, dass Menschen, die von Antiziganismus betroffen sind, im deutschen Bildungssystem strukturell und institutionell diskriminiert werden und ihr Recht auf Bildung systematisch und rassistisch fundiert eingeschränkt wird. Mit der Kurzstudie möchte MIA deshalb "Ursachen und Auswirkungen von Antiziganismus im Bildungsbereich sichtbar machen und den strukturellen sowie institutionellen Rassismus an Schulen klar benennen", sagt Sofia Erto. "Zugleich wollen wir Wege entwickeln, wie antiziganistischer Diskriminierung und Gewalt in Schulen und Kitas wirkungsvoll begegnet werden kann – mit dem Ziel, Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit für alle Kinder und Jugendlichen zu verwirklichen."

Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit ermöglichen

Ziel von MIA ist es, langfristig politische, gesellschaftliche und institutionelle Veränderungen in der Wahrnehmung von und im Umgang mit Antiziganismus anzustoßen. Für die Bekämpfung von antiziganistischer Diskriminierung an Schulen empfiehlt Sofia Erto auf Grundlage der Kurzstudie die Errichtung eines unabhängigen Beschwerdesystems. Dieses könne Betroffenen von Diskriminierung und Rassismus an Schulen Beratung und Unterstützung beim Einreichen von Beschwerden bieten. Außerdem: "Antidiskriminierungsgesetze, wie das LADG in Berlin, sollten auf Landesebene verabschiedet werden. Dies ermöglicht die rechtliche Ahndung von Diskriminierung an Schulen", sagt Sofia Erto.

Gleichzeitig müssten Sensibilisierungsprogramme für Pädagoginnen und Pädagogen, Schulpersonal und Behörden in Bezug auf Antiziganismus ausgebaut werden. Ebenso der Einsatz von Bildungsberatende, die die gleichberechtigte Teilhabe von Sinti und Roma im öffentlichen Bildungswesen sicherstellen. "Lehrkräfte, Erzieherinnen und Erzieher sollen Schulungen zu Rassismus und Klassismus besuchen, um über den Unterricht hinaus in der Lage zu sein, rassistisches und diskriminierendes Handeln zu identifizieren und angemessen zu intervenieren", empfiehlt Sofia Erto. Themen wie der "Völkermord an Sinti und Roma", "Antiziganismus" und "Geschichte der Sinti und Roma" sowie die Diskussion über ihre gegenwärtigen Lebensbedingungen sollten Bestandteil der Lehrpläne und der Lehramtsstudiengänge sein, um das Bewusstsein für diese spezifische Form von Rassismus im Bildungsbereich zu stärken.

Anmerkung: In diesem Magazin-Beitrag wird die Bezeichnung Sinti und Roma als Selbstbezeichnung beibehalten und nicht gegendert. Damit orientiert sich der Beitrag an der Position des Verbands Deutscher Sinti und Roma des Landesverbands Rheinland-Pfalz.

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Veröffentlicht im Mai 2025