Jugendliche befragt Studie "Extrem einsam?"

Ein Mädchen mit Rucksack steht auf einem großen gelben Kreis
Ausschnitt aus dem Titelbild der Studie "Extrem einsam?" © Das Progressive Zentrum

Bereits vor den Schulschließungen und Ausgangssperren während der Corona-Pandemie war Einsamkeit für die Altersgruppe der 17- bis 30-Jährigen ein Problem. Die Einschränkungen während der Pandemie verstärkten die Einsamkeit bei jungen Menschen besonders. Der Verein "Das Progressive Zentrum" hat mit den Wissenschaftlerinnen Claudia Neu, Beate Küpper und Maike Luhmann im Rahmen des Modellprojekts "Kollekt" nun eine erste Studie vorgelegt, die den Zusammenhang von Einsamkeit und antidemokratischen Haltungen untersucht.

Die Studie

Befragt wurden Jugendliche zwischen 16 und 23 Jahren zunächst in Tiefeninterviews und Fokusgruppen. Die Erkenntnisse aus diesen Gesprächen wurden anschließend in einer repräsentativen Umfrage mit über 1.000 jungen Menschen überprüft.

Die Ergebnisse sind schon in der Gesamtheit bedrückend:

  • 55 Prozent der Befragten fühlen sich manchmal oder immer einsam. Besonders junge Menschen, die finanziellem Druck ausgesetzt sind, bereits eigene Kinder oder eine Migrationsgeschichte haben, sind von Einsamkeit betroffen.
  • Nur 57 Prozent der Jugendlichen empfinden die Demokratie als beste Staatsform.
  • 61 Prozent stimmen zu, dass Politik die Perspektive junger Menschen vernachlässigt.

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Abbildung 3: Einsamkeit bei Jungen Menschen, aus: Das Progressive Zentrum mit Claudia Neu, Beate Küpper und Maike Luhmann: Studie "Extrem einsam?". Die demokratische Relevanz von Einsamkeitserfahrungen und Jugendlichen in Deutschland, Seite 32

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ABBILDUNG 3 | ERGEBNISSE FÜR EINSAMKEIT BEI JUNGEN MENSCHEN

"Wie häufig hast du das Gefühl,..."

emotionale Einsamkeit:

...dass dir Gesellschaft fehlt?
55 Prozent manchmal/immer (eher einsam), 38 Prozent niemals/selten (eher nicht einsam)

...ausgeschlossen zu sein?
47 Prozent manchmal/immer (eher einsam), 45 Prozent niemals/selten (eher nicht einsam)

...isoliert von anderen Menschen zu sein?
47 Prozent manchmal/immer (eher einsam), 47 Prozent niemals/selten (eher nicht einsam)

soziale Einsamkeit:

...dass es Menschen gibt, mit denen du reden kannst?
22 Prozent niemals/selten (eher einsam), 72 Prozent manchmal/immer (eher nicht einsam)

...dass es Menschen gibt, an die du dich wenden kannst?
23 Prozent niemals/selten (eher einsam), 73 Prozent manchmal/immer (eher nicht einsam)

...anderen Menschen nah zu sein?
26 Prozent niemals/selten (eher einsam), 69 Prozent manchmal/immer (eher nicht einsam)

kollektive Einsamkeit:

...dass du mit den Menschen um dich herum vieles gemeinsam hast?
26 Prozent niemals/selten (eher einsam), 67 Prozent manchmal/immer (eher nicht einsam)

...zu einer Gruppe von Freunden dazu zu gehören?
25 Prozent niemals/selten (eher einsam), 69 Prozent manchmal/immer (eher nicht einsam)

...auf einer Wellenlänge mit den Menschen um dich herum zu sein?
26 Prozent niemals/selten (eher einsam), 69 Prozent manchmal/immer (eher nicht einsam

N = 1.008 (alle Befragten). Fehlende Werte: weiß nicht/keine Angabe.
Quelle der Fragen: UCLA-Einsamkeitsskala (Russell et al., 1980)

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Abbildung 12: Externale politische Selbstwirksamkeit junger Menschen, aus: Das Progressive Zentrum mit Claudia Neu, Beate Küpper und Maike Luhmann: Studie "Extrem einsam?". Die demokratische Relevanz von Einsamkeitserfahrungen und Jugendlichen in Deutschland, Seite 48

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ABBILDUNG 12 | EXTERNALE POLITISCHE SELBSTWIRKSAMKEIT JUNGER MENSCHEN

"Inwiefern stimmst du den folgenden Aussagen zu?"

Die Politik vernachlässigt in aktuellen Krisen (z. B. Corona oder Klimawandel) die Perspektive junger Menschen.

Ablehnung:
gesamt: 31 Prozent, Einsame: 31 Prozent, Nicht-Einsame: 31 Prozent

Zustimmung:
gesamt: 61 Prozent, Einsame: 61 Prozent, Nicht-Einsame: 61 Prozent

Themen, die junge Leute interessieren, werden von der Politik nicht aufgegriffen.

Ablehnung:
gesamt: 33 Prozent, Einsame: 34 Prozent, Nicht-Einsame: 32 Prozent

Zustimmung:
gesamt: 55 Prozent, Einsame: 51 Prozent, Nicht-Einsame: 57 Prozent

Die Politiker bemühen sich um einen engen Kontakt zur Bevölkerung.

Ablehnung:
gesamt: 57 Prozent, Einsame: 57 Prozent, Nicht-Einsame: 58 Prozent

Zustimmung:
gesamt: 31 Prozent, Einsame: 29 Prozent, Nicht-Einsame: 31 Prozent

N = 1.008 (alle Befragten). Einsame: einsamstes Viertel der Befragten. Fehlende Werte: weiß nicht/keine Angabe.
Quelle der Fragen: Political-Efficacy-Kurzskala (Beierlein et al., 2012)

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Abbildung 13: Zufriedenheit junger Menschen mit der Demokratie, Das Progressive Zentrum mit Claudia Neu, Beate Küpper und Maike Luhmann: Studie "Extrem einsam?". Die demokratische Relevanz von Einsamkeitserfahrungen und Jugendlichen in Deutschland, Seite 49

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ABBILDUNG 13 | ZUFRIEDENHEIT JUNGER MENSCHEN MIT DER DEMOKRATIE

 

"Inwiefern stimmst du den folgenden Aussagen zu?"

 

Die Demokratie ist die beste Staatsform.

Ablehnung:
gesamt: 30 Prozent, Einsame: 33 Prozent, Nicht-Einsame: 29 Prozent

Zustimmung:
gesamt: 57 Prozent, Einsame: 51 Prozent, Nicht-Einsame: 60 Prozent

 

Alles in allem funktioniert das demokratische System in Deutschland gut.

Ablehnung:
gesamt: 42 Prozent, Einsame: 43 Prozent, Nicht-Einsame: 42 Prozent

Zustimmung:
gesamt: 47 Prozent, Einsame: 44 Prozent, Nicht-Einsame: 48 Prozent

Die Politik in Deutschland ist in der Lage, Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen.

Ablehnung:
gesamt: 47 Prozent, Einsame: 49 Prozent, Nicht-Einsame: 46 Prozent

Zustimmung:
gesamt: 40 Prozent, Einsame: 38 Prozent, Nicht-Einsame: 41 Prozent

N = 1.008 (alle Befragten). Einsame: einsamstes Viertel der Befragten. Fehlende Werte: weiß nicht/keine Angabe.
Quelle der Fragen: ALLBUS (GESIS 2019)

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Abbildung 16: Verschwörungsmentalität junger Menschen, aus: Das Progressive Zentrum mit Claudia Neu, Beate Küpper und Maike Luhmann: Studie "Extrem einsam?". Die demokratische Relevanz von Einsamkeitserfahrungen und Jugendlichen in Deutschland, Seite 52

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ABBILDUNG 16 | VERSCHWÖRUNGSMENTALITÄT JUNGER MENSCHEN

Auf einer Skala von 7, stimme überhaupt nicht zu, bis 1, stimme voll und ganz zu:

Die Regierung verheimlicht wichtige Informationen vor der Öffentlichkeit.

Einsame: 7: 6 Prozent, 6: 8 Prozent, 5: 8 Prozent, 4: 14 Prozent, 3: 21 Prozent, 2: 14 Prozent, 1: 23 Prozent

Gesamt: 7: 6 Prozent, 6: 8 Prozent, 5: 12 Prozent, 4: 18 Prozent, 3: 20 Prozent, 2: 13 Prozent, 1: 17 Prozent

Nicht-Einsame: 7: 5 Prozent, 6: 8 Prozent, 5: 13 Prozent, 4: 19 Prozent, 3: 20 Prozent, 2: 13 Prozent, 1: 14 Prozent

Die Regierung weiß oft über terroristische Anschläge Bescheid und lässt diese geschehen.

Einsame: 7: 10 Prozent, 6: 6 Prozent, 5: 12 Prozent, 4: 14 Prozent, 3: 21 Prozent, 2: 13 Prozent, 1: 12 Prozent

Gesamt: 7: 14 Prozent, 6: 7 Prozent, 5: 15 Prozent, 4: 16 Prozent, 3: 16 Prozent, 2: 9 Prozent, 1: 10 Prozent

Nicht-Einsame: 7: 15 Prozent, 6: 8 Prozent, 5: 16 Prozent, 4: 16 Prozent, 3: 15 Prozent, 2: 7 Prozent, 1: 9 Prozent

Geheime Gruppen kontrollieren die Gedanken der Menschen, ohne dass diese davon wissen.

Einsame: 7: 19 Prozent, 6: 9 Prozent, 5: 15 Prozent, 4: 14 Prozent, 3: 14 Prozent, 2: 12 Prozent, 1: 10 Prozent

Gesamt: 7: 26 Prozent, 6: 8 Prozent, 5: 13 Prozent, 4: 17 Prozent, 3: 12 Prozent, 2: 9 Prozent, 1: 6 Prozent

Nicht-Einsame: 7: 29 Prozent, 6: 7 Prozent, 5: 12 Prozent, 4: 18 Prozent, 3: 11 Prozent, 2: 8 Prozent, 1: 5 Prozent

N = 1.008 (alle Befragten). Einsame: einsamstes Viertel der Befragten. Fehlende Werte: weiß nicht/keine Angabe.
Quelle der Fragen: Adolescent Conspiracy Belief Questionnaire (Jolley et al., 2021)

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Abbildung 20: Billigung von politischer Gewalt durch junge Menschen, aus: Das Progressive Zentrum mit Claudia Neu, Beate Küpper und Maike Luhmann: Studie "Extrem einsam?". Die demokratische Relevanz von Einsamkeitserfahrungen und Jugendlichen in Deutschland, Seite 32

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ABBILDUNG 20 | BILLIGUNG VON POLITISCHER GEWALT UND NORMVERLETZUNG DURCH JUNGE MENSCHEN

"Inwiefern stimmst du den folgenden Aussagen zu?"

Manchmal ist es notwendig, demokratische Regeln zu verletzen, damit wichtige Veränderungen möglich sind.

Ablehnung:
gesamt: 49 Prozent, Einsame: 43 Prozent, Nicht-Einsame: 51 Prozent

Zustimmung:
gesamt: 38 Prozent, Einsame: 43 Prozent, Nicht-Einsame: 37 Prozent

Einige Politiker haben es verdient, wenn die Wut gegen sie auch schon mal in Gewalt umschlägt.

Ablehnung:
gesamt: 60 Prozent, Einsame: 55 Prozent, Nicht-Einsame: 63 Prozent

Zustimmung:
gesamt: 27 Prozent, Einsame: 34 Prozent, Nicht-Einsame: 25 Prozent

Gewalt kann zur Erreichung bestimmter politischer Ziele moralisch gerechtfertigt sein.

Ablehnung:
gesamt: 63 Prozent, Einsame: 60 Prozent, Nicht-Einsame: 63 Prozent

Zustimmung:
gesamt: 26 Prozent, Einsame: 29 Prozent, Nicht-Einsame: 25 Prozent

N = 1.008 (alle Befragten). Einsame: einsamstes Viertel der Befragten. Fehlende Werte: weiß nicht/keine Angabe.
Quelle der Fragen: ALLBUS (GESIS, 2019), Junges Europa 2018 (TUI-Stiftung, 2019), Mitte-Studie 2020/21 (Zick & Küpper, 2021)

Die tiefergehende Analyse der Ergebnisse zeigt zudem, dass diejenigen Jugendlichen aus der Befragung, die aufgrund ihrer Antworten als einsam gelten, häufiger Verschwörungstheorien und autoritären Haltungen zustimmen sowie politische Gewalt billigen als die Nicht-Einsamen.

Film "Erst einsam, dann extrem?" und Panel-Diskussion

Im Rahmen des Modellprojekts ist auch ein Kurzfilm entstanden, der jungen Menschen eine Stimme gibt und anhand von Erfahrungen der Jugendlichen schildert, wie Einsamkeit und antidemokratische Einstellungen zusammenhängen. Der Film wurde im Februar 2023 bei einer Veranstaltung gemeinsam mit der Studie vorgestellt.

Vier Personen sitzen auf einer Bühne
Panel-Diskussion zur Studie "Extrem einsam?" mit (von links) Moderator Bent Freiwald, Ministerin Lisa Paus, Pia Lamberty und Melanie Eckert © Phototek/Kira Hofmann

In der anschließenden Gesprächsrunde haben Bundesjugendministerin Lisa Paus, Sozialpsychologin Pia Lamberty und Psychologin Melanie Eckert die Studienerkenntnisse und Handlungsempfehlungen diskutiert.

In einem Impulsvortrag hat die Co-Autorin der Studie Beate Küpper nochmals hervorgehoben, dass Einsamkeit kein individuelles Problem der Betroffenen, sondern eines der Gesellschaft als Ganzes und ihrer politischen Verfasstheit ist. Die Forschungsergebnisse legen nahe, dass Einsamkeit dazu führt, sich der Gesellschaft weniger verpflichtet zu fühlen, wodurch politische Partizipation, wie etwa Wahlbeteiligung oder aktive politische Teilhabe, abnimmt und Jugendliche anfälliger für extreme Haltungen werden.

Neben den Erfahrungen aus der Praxis, beispielswiese des krisenchats, wurde in der Diskussion auch auf die bereits laufenden Maßnahmen gegen Einsamkeit des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend verwiesen. Dazu gehört auch das Bundesprogramm "Demokratie leben!" mit seinen Partnerschaften für Demokratie und Innovationsprojekten.

Empfehlungen und Fortsetzung der Projektarbeit "Kollekt"

Sowohl in der Panel-Diskussion als auch in der Studie werden aus den Ergebnissen Handlungsempfehlungen abgeleitet. Neben weiterer Forschung zu dem Thema sollen in einem kontinuierlichen Einsamkeits-Monitoring Risikogruppen identifiziert und Interventionsmaßnahmen entwickelt werden. Ganz konkret bedeutet das, für die jungen Menschen soziale Räume als Wohlfühlorte zu schaffen. In diesen Räumen müssen zudem die Möglichkeiten der Mitgestaltung digital und vor Ort gestärkt werden, damit Jugendliche sich gehört fühlen und sich demokratisch beteiligen können. In der nächsten Projektphase wird "Kollekt" sich deshalb mit der Umsetzung dieser Empfehlungen und der Entwicklung neuer Formate in der Jugend- und Sozialarbeit befassen.

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Veröffentlicht im Februar 2023 im Rahmen der zweiten Förderperiode des Bundesprogramms