Programmbereich "Innovationsprojekte"
Innovationsprojekte dienen der Entwicklung und Erprobung neuer Arbeitsansätze und/oder neuer Wege der Zielgruppenerreichung. In diesem Rahmen sollen die hier beschriebenen Ziele erreicht werden. Erkenntnisse aus der Umsetzung von Innovationsprojekten sollen übertragbar sein. Die Innovationsprojekte sollen sich praxisorientiert auf konkrete soziale Räume und Orte der (politischen) Sozialisation fokussieren und auf gender- und diversitätssensiblen Konzepten basieren. Besonders förderfähig sind Projekte von Organisationen mit guten Zielgruppenzugängen.
Die Innovationsprojekte adressieren grundsätzlich folgende Zielgruppen:
- Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene,
- Eltern, Familienangehörige und Bezugspersonen von Jugendlichen, soziales Umfeld,
- von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit betroffene Personen,
- ehren-, neben- und hauptamtlich in der Kinder- und Jugendhilfe und an anderen Sozialisationsorten Tätige,
- Multiplikatoren und Multiplikatorinnen,
- staatliche Stellen, öffentliche Verwaltung,
- zivilgesellschaftlich engagierte Erwachsene, gemeinnützige Vereine und Organisationen,
- Migranten- und Migrantinnenselbstorganisationen / postmigrantische Organisationen,
- Menschen, die bisher von Projekten und Maßnahmen des Bundesprogramms nicht adressiert und/oder nicht erreicht wurden.
Bei einer Bewerbung im Programmbereich "Innovationsprojekte" ist eine weitere Bewerbung im Programmbereich "Entwicklung einer bundeszentralen Infrastruktur" nur in einem anderen Themen- und Praxisfeld möglich.
Demokratieförderung
Geplant ist die zeitlich begrenzte Förderung von Innovationsprojekten in den folgenden Themenfeldern:
- Konflikttransformation
- Strukturschwache Regionen und Räume mit exponierter Problemlage
- Demokratieskepsis
- Innovative Ansätze zu aktuellen Herausforderungen in der Demokratieförderung
- Digitale Teilhabe und Kompetenzen
Konflikttransformation
Konflikte sind konstituierend für Demokratien und gesellschaftliche Normalität. Hierzu gehören lokale Konflikte oder auch globale Konflikte, die in den lokalen Raum hineinwirken können. Konflikte werden dann zu einem Problem, wenn die Gesellschaft diese nicht (an)erkennt oder wenn sie über keine ausreichenden Kompetenzen und Ressourcen verfügt, um sie konstruktiv zu bearbeiten.
Deshalb sollen Innovationsprojekte gefördert werden, die dazu beitragen, Konflikte zum Anlass positiver Veränderung aufseiten aller Konfliktbeteiligten werden zu lassen. Im Rahmen einer konstruktiven Konflikttransformation kann Multiperspektivität generiert werden, können Perspektivverschiebungen und Reflexionsprozesse reifen, kann Empathie, Nähe und Verständnis entstehen und gegenseitiges Vertrauen aufgebaut werden. Angesichts der durch die vielfältigen Krisen hervorgerufenen und verstärkten Konflikte, die auch auf kommunaler Ebene ausgetragen werden, ist es wichtig, methodische Kompetenzen, Ansätze und praktische Konzepte zur konstruktiven Konflikttransformation zu fördern und Multiplikatoren und Multiplikatorinnen in der Zivilgesellschaft und in Regelstrukturen entsprechend zu sensibilisieren und fortzubilden.
Ziele
- Die Zielgruppe (Multiplikatoren und Multiplikatorinnen in der Zivilgesellschaft und in Regelstrukturen) ist handlungssicher in der Bearbeitung von Konflikten und der für die Konflikttransformation notwendigen Methoden und Kompetenzen, insbesondere mit Blick auf Themen, die Kinder und Jugendliche betreffen.
- Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in der Zivilgesellschaft und in Regelstrukturen verfügen über Fähigkeiten zur Durchführung breiter Dialog- und Aushandlungsprozesse.
- Akteure und Akteurinnen des Bundesprogramms erhalten durch die aktive Vermittlung des gewonnenen Handlungswissens Anregungen und Impulse zur konstruktiven Konfliktbearbeitung.
Strukturschwache Regionen und Räume mit exponierter Problemlage
Es sind vor allem strukturschwache Regionen1 und Gebietskörperschaften mit besonderem demokratie- und menschenfeindlichen Problemdruck2, in denen die Herausforderungen für die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt besonders ausgeprägt sind. In diesen Regionen und Räumen braucht es Projekte, die innovative Konzepte zur gezielten Förderung des demokratischen Engagements entwickeln.
Deshalb sollen Innovationsprojekte gefördert werden, die dazu beitragen, in diesen Regionen und Räumen demokratisch Engagierte in ihrem Handeln zu bestärken und bisher nicht engagierte Menschen zum Gestalten ihres unmittelbaren Lebensumfeldes zu einem spezifischen Bedarf vor Ort zu aktivieren. Die Projekte sollen variantenreiche konzeptionelle Ansätze zur Förderung der demokratischen Beteiligung und Gestaltung in strukturschwachen Regionen und/oder in konkreten Sozialräumen mit besonderer Verbreitung demokratie- und menschenfeindlicher Einstellungen entwickeln. Grundvoraussetzung für den Erfolg der Innovationsprojekte ist eine zielgruppenspezifische Ansprache, die aktive Nutzung von regionalen Ressourcen und Potenzialen sowie die Ermöglichung lebensfeldnaher Selbstwirksamkeit durch bedarfsorientierte Projektarbeit.
Ziele
- Menschen (und insbesondere: Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und ihr soziales Umfeld) in strukturschwachen Regionen (im Sinne der GRW-Kriterien) und/oder in Räumen mit besonderer Ausprägung demokratie- und menschenfeindlicher Einstellungen, die sich bisher nicht demokratisch-zivilgesellschaftlich engagiert haben, gestalten ihr Lebensumfeld mit.
- Engagierte zivilgesellschaftliche Akteure und Akteurinnen in strukturschwachen Regionen (im Sinne der GRW-Kriterien) und/oder in Gebietskörperschaften mit besonderer Ausprägung demokratie- und menschenfeindlicher Einstellungen werden gestärkt.
Demokratieskepsis
Trotz hoher Zustimmungswerte zu den verfassungsmäßigen Grundlagen der Demokratie sinkt das Vertrauen gegenüber der Gestaltungs- und Leistungsfähigkeit von Institutionen. Auch das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des demokratischen Rechtsstaats und seiner Akteurinnen und Akteure sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland sinkt.
Deshalb sollen Innovationsprojekte gefördert werden, die auf bestehende Zweifel an und auf allgemeine Unzufriedenheit mit dem grundlegenden Funktionieren des demokratischen Systems reagieren und Menschen mit demokratieskeptischen Einstellungen explizit mit niedrigschwelligen Angeboten adressieren und ihnen Möglichkeiten der teilhabeorientierten Demokratieförderung eröffnen. Die Innovationsprojekte sollen die Zielgruppe in ihrer jeweiligen Lebenssituation ansprechen, ihr Bewusstsein für die Umsetzung demokratischer Werte stärken und sie inspirieren und befähigen, im Rahmen des demokratischen Rechtsstaates an demokratischen Gestaltungsmöglichkeiten in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld zu partizipieren.
Ziele
- Menschen mit demokratieskeptischen Einstellungen, insbesondere Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und ihr soziales Umfeld, handeln nach demokratischen Werten, erfahren demokratische Selbstwirksamkeit im eigenen Lebensumfeld und gewinnen Vertrauen in das grundsätzliche Funktionieren der Demokratie.
- Akteure und Akteurinnen des Bundesprogramms erhalten durch die aktive Vermittlung des gewonnenen Handlungswissens Anregungen und Impulse für die Auseinandersetzung mit Menschen mit demokratieskeptischen Einstellungen.
Innovative Ansätze zu aktuellen Herausforderungen in der Demokratieförderung
Es gibt keinen Bereich des gesellschaftlichen Lebens, dessen Ausgestaltung keinen Bezug zur Demokratie als Gesellschafts-, Lebens- und Staatsform aufweist. Transformationsprozesse in der Klima- und Umweltpolitik, in der Arbeitswelt und in der Neugestaltung von Strukturwandelregionen: das Gelingen dieser Prozesse ist abhängig von der demokratischen Beteiligung der Menschen.
Das Erreichen und Aktivieren von Menschen, die nicht bereits über ein Interesse an Demokratiebildung beziehungsweise demokratischer Beteiligung verfügen, ist für Akteurinnen und Akteure der Demokratieförderung oftmals eine Herausforderung.
Deshalb sollen Innovationsprojekte gefördert werden, die Menschen aktivieren, sich im Rahmen von demokratischen Gestaltungsmöglichkeiten mit ihren eigenen divergenten Lösungsideen und Gedanken zu beteiligen. Hierfür sind kreative Zugänge gefragt, die nicht ausschließlich auf kognitiver Ebene ansetzen, um das Interesse an Demokratie zu fördern und Vorbedingungen für die demokratische Aktivierung in den Blick zu nehmen (etwa künstlerische, performative und interdisziplinäre Ansätze). Die zielgruppenadäquaten Zugänge und Formate sollen auch die affektiv-motivationale und die Verhaltensebene adressieren und sollen den analogen Raum in den Blick nehmen. Damit soll das grundsätzliche Interesse an Demokratie geweckt und die Bereitschaft an demokratischer Auseinandersetzung und demokratischem Engagement gefördert werden.
Ziele
- Menschen (insbesondere: Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und ihr soziales Umfeld), die im Rahmen von Maßnahmen der Demokratieförderung bisher nicht oder nur eingeschränkt erreicht werden, entwickeln durch innovative Formate und kreative Ansätze ein Interesse an demokratischen Fragen sowie Bereitschaft und Motivation zu demokratischer Auseinandersetzung und Partizipation.
- Akteure und Akteurinnen des Bundesprogramms erhalten durch die aktive Vermittlung der entwickelten und erprobten Ansätze Anregungen und Impulse zur Aktivierung von Zielgruppen, insbesondere Kinder und Jugendliche.
Digitale Teilhabe und Kompetenzen
Politisches Handeln findet heute vielfach im digitalen Raum statt. Das Netz ist – gerade für junge Menschen – auch politischer Sozialisationsraum. Es fehlt zum Teil aber an den spezifischen Kompetenzen, um sich konstruktiv im digitalen Raum einbringen zu können. Einige ziehen sich zurück, da digitale Räume häufig keine guten Voraussetzungen für einen offenen demokratischen Diskurs bieten. Gleichwohl bietet das Internet ein großes Potenzial zur Erreichung neuer Zielgruppen für Demokratieförderung, etwa im Gaming.
Daher sollen Innovationsprojekte einen Beitrag leisten, dass der digitale Raum stärker zu einem demokratischen und demokratiefördernden Raum ohne Hass und Hetze, aber mit demokratischen Werten und Normen sowie befähigten Bürgerinnen und Bürger wird, die die Möglichkeiten digitaler Teilhabe und Partizipation nutzen.
Ziele
- Jugendliche und junge Erwachsene/Erwachsene im Netz und pädagogische Fachkräfte sind debattenkompetent und agieren nach demokratischen Normen und Werten im digitalen Raum.
- Jugendliche und junge Erwachsene/Erwachsene im Netz kennen Möglichkeiten zur digitalen Partizipation und erleben Demokratie mittels digitaler Ansätze.
- Gruppen, die potenziell gefährdet sind, sich aus dem digitalen Raum zurückzuziehen (Silencing), insbesondere marginalisierte Personen, Frauen und demokratisch engagierte Gruppen nutzen sichere Digitalräume und gewinnen Handlungskompetenz im Netz zurück.
Vielfaltgestaltung
Geplant ist die zeitlich begrenzte Förderung von Innovationsprojekten in den Themenfeldern:
- ausgewählte Phänomene Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (GMF) und Empowerment
- Intersektionalität und Mehrfachdiskriminierung
- Zusammenleben in der Migrationsgesellschaft
Ausgewählte Phänomene Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (GMF) und Empowerment
Marginalisierte gesellschaftliche Gruppen erfahren Diskriminierung sowohl auf der Ebene der individuellen Einstellungen als auch auf struktureller und institutioneller Ebene, zum Beispiel in Schule und Beruf, in Bezug auf Wohnen und Gesundheit oder auch im Kontakt unter anderem mit Verwaltung, Polizei und Justiz. Jedes einzelne Phänomen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit hat eine eigene historische Entstehungsgeschichte sowie spezifische Ausprägungen und Wirkungsweisen und wird unterschiedlich in der Gesellschaft sichtbar.
Deshalb sollen Innovationsprojekte gefördert werden, die mithilfe von Sensibilisierungs- und/oder Empowerment-Maßnahmen ausgewählte GMF-Phänomene, wie zum Beispiel Antisemitismus, Antiziganismus, Anti-Schwarzen, antiasiatischen oder antimuslimischen Rassismus, Sexismus und LSBTIQ*-Feindlichkeit in den Blick nehmen und innovative Ansätze und Konzepte zu ihrer Prävention entwickeln und erproben. Dabei soll die individuelle Einstellungsebene, die Strukturebene und/oder GMF als Grundbestandteil extremistischer Ideologien adressiert und die Perspektive der jeweiligen Betroffenengruppe und deren Teilhabe einbezogen werden. Alle GMF-Phänomene haben historisch-politische Wurzeln, wirken strukturell und weisen zudem eine internationale Dimension auf. Auch diese Bezüge können innerhalb der Innovationsprojekte Berücksichtigung finden.
Ziele
- Die Projektträger entwickeln tragfähige Konzepte und schaffen Räume, um zum Empowerment und zur Stärkung der verschiedenen Communitys beizutragen und unterstützen Möglichkeiten zu gesellschaftlicher Teilhabe.
- Heterogene Gruppen stärken ihr Verständnis füreinander und ihre gegenseitige Akzeptanz, verfügen dabei über Ambiguitätstoleranz und fühlen sich mit Begegnungen nicht überfordert.
- Die genannten Zielgruppen sind in der Lage, die Perspektive von diskriminierten Gruppen einzunehmen.
- Akteurinnen und Akteure zum Beispiel aus Organisationen der Kinder- und Jugendhilfe oder der öffentlichen Verwaltung sind für Diskriminierung auch innerhalb und durch die eigenen Strukturen sensibilisiert und tragen zu einer diskriminierungssensiblen Öffnung ihrer Einrichtungen bei.
- Regelstrukturen sind die erprobten Konzepte der Innovationsprojekte bekannt, sie übernehmen diese gegebenenfalls mit Adaptionen.
Intersektionalität und Mehrfachdiskriminierung
Diskriminierung und Rassismus erfolgen nicht nur ein-, sondern auch mehrdimensional. Verschiedene Dimensionen der Diskriminierung können sich durch das Zusammentreffen von mehreren Diskriminierungsmerkmalen einerseits gegenseitig verstärken (Mehrfachdiskriminierung) oder beim Zusammentreffen an den Schnittstellen eine spezifische, neue Form der Diskriminierung erzeugen (intersektionale Diskriminierung). Für die Eindämmung und Prävention von Diskriminierung und Phänomenen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sind daher auch Konzepte zentral, die Mehrfachdiskriminierung oder intersektionale Ansätze berücksichtigen. Diese sind in der konkreten Projektumsetzung von "Demokratie leben!" bislang noch wenig vertreten. Durch die Etablierung eines eigenen Themenfeldes innerhalb der Innovationsprojekte sollen intersektionale Maßnahmen oder Projekte mit dem Fokus auf Mehrfachdiskriminierung daher gezielt gefördert werden.
Deshalb sollen Innovationsprojekte gefördert werden, die die besondere Wirkweise von intersektionaler Diskriminierung oder Mehrfachdiskriminierung berücksichtigen. Dazu sollen präventiv-pädagogische Ansätze zum Beispiel im Kontext von Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Altersdiskriminierung oder Klassismus entwickelt und erprobt werden, die sich auf einen konkreten Sozialraum beziehen wie etwa den Bildungsbereich (zum Beispiel Schule, außerschulische Bildungsarbeit), Regelstrukturen, zivilgesellschaftliche Organisationen oder die Verwaltung. Dabei können sowohl Veränderungen auf individueller Ebene als auch institutionelle Abläufe und Prozesse in den Blick genommen werden. Besonders förderfähig sind Kooperationsprojekte oder Ansätze der Stärkung von Betroffenen zur Sichtbarmachung, zur Professionalisierung und zur Sensibilisierung mehrfach diskriminierter Gruppen.
Ziele
- Projektteilnehmende entwickeln ein gemeinsames Verständnis für Intersektionalität und beziehungsweise oder Mehrfachdiskriminierung.
- Projektteilnehmende arbeiten phänomenübergreifend und intersektional zusammen.
- Betroffene können ihre Interessen wirksam vertreten und bringen sich in für sie relevante gesellschaftliche Bereiche ein.
- Die genannten Zielgruppen sind in der Lage, die Perspektive von diskriminierten Bevölkerungsgruppen einzunehmen.
- Akteurinnen und Akteure aus Organisationen der Kinder- und Jugendhilfe oder der öffentlichen Verwaltung schaffen eine diskriminierungssensible Öffnung ihrer Einrichtung.
- Regelstrukturen sind die erprobten Konzepte der Innovationsprojekte bekannt, sie übernehmen diese gegebenenfalls mit Adaptionen.
Zusammenleben in der Migrationsgesellschaft
Die deutsche Gesellschaft hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend zu einer Migrationsgesellschaft entwickelt, doch Einwanderung prägt unsere Gesellschaft seit jeher. Neben den Chancen und Entwicklungspotenzialen stellt dieser Umstand auch die Gesellschaft als Ganzes immer wieder vor Herausforderungen. Dabei werden zum Beispiel Fragen nach Zugehörigkeit, gleichberechtigter gesellschaftlicher Teilhabe und geteilten beziehungsweise divergenten Wertvorstellungen aufgeworfen. Eine demokratische, respektvolle, freie und friedliche Gesellschaft ist darauf angewiesen, entsprechende Entwicklungen zu analysieren und etwaig entstehende Konflikte kontinuierlich konstruktiv zu bearbeiten und dabei einen Umgang mit der Vieldeutigkeit und Ambiguität vieler gesellschaftlicher Umstände und Prozesse zu finden sowie Teilhabemöglichkeiten zu stärken.
Deshalb sollen Innovationsprojekte gefördert werden, die innovative Ansätze entwickeln und erproben, die Aushandlungsprozesse, Perspektivwechsel sowie Dialogmöglichkeiten zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen in den Mittelpunkt stellen. Darüber hinaus sollen auch Projekte gefördert werden, die Maßnahmen umsetzen, die einen selbstreflektierenden Umgang mit eigenen sowie in Institutionen eingeschriebenen Vorurteilen ermöglichen. Es können auch Beteiligungsformate entwickelt werden, die in Debatten unterrepräsentierte Menschen einbeziehen wie Schutzsuchende, Neuzugewanderte oder EU-Bürgerinnen und -Bürger.
Ziele
- Heterogene Gruppen stärken ihr Verständnis füreinander und ihre gegenseitige Akzeptanz, verfügen dabei über Ambiguitätstoleranz und fühlen sich mit Begegnungen nicht überfordert.
- Die genannten Zielgruppen sind in der Lage, die Perspektive von diskriminierten Bevölkerungsgruppen einzunehmen.
- Projektteilnehmende können ihre Interessen wirksam vertreten und bringen sich in für sie relevante gesellschaftliche Bereiche ein.
- Projektteilnehmende können mit Ablehnung und Enttäuschungen resilient umgehen und erfahren Solidarität.
- Regelstrukturen sind die erprobten Konzepte der Innovationsprojekte bekannt, sie übernehmen diese gegebenenfalls mit Adaptionen.
Extremismusprävention
Geplant ist die zeitlich begrenzte Förderung von Innovationsprojekten in den folgenden Themenfeldern:
- Prävention von Rechtsextremismus
- Prävention von Islamistischem Extremismus
- Prävention von Linksextremismus/Linker Militanz
- Prävention von Verschwörungsdenken und weiteren demokratiefeindlichen Phänomenen
- Prävention von Hass im Netz und Desinformation
Prävention von Rechtsextremismus
Rechtsextremismus zeigt sich immer häufiger aktionsorientiert in Form von Protesten oder Kampagnen, im digitalen Raum auf Online-Plattformen oder jugendkulturell angepasst. Gleichzeitig ist die sogenannte Mitte der Bevölkerung empfänglicher für rechtsextreme und rechtspopulistische Einstellungen. Aktuelle Krisen (zum Beispiel Inflation, Kriege oder Migrationsbewegungen) werden von rechtsextremen Akteurinnen und Akteuren gezielt instrumentalisiert und umgedeutet. Im Rahmen von Protestbewegungen etablierten sich in den vergangenen Jahren gerade in manchen ländlichen und kleinstädtischen Regionen Räume mit ausgeprägten rechtsextremen Strukturen und geringen zivilgesellschaftlichen, demokratischen Angeboten und Aktivitäten. Weiterhin wird die Rolle von Frauen in der rechtsextremen Szene oft unterschätzt. Deren Hinwendungs-, Verbleibens- und Ausstiegsmotive sind nicht ausreichend erforscht und bekannt.
Besonders gefördert werden sollen daher Innovationsprojekte, die Ansätze und Methoden aus dem Bereich der Sekundär- und Tertiärprävention zur (pädagogischen) Arbeit mit Radikalisierten oder Radikalisierungsgefährdeten und deren sozialem Umfeld entwickeln und erproben. Diese sollen ihre Kenntnisse über rechtsextreme Aktionsformen und rechtsextreme Narrative erweitern und dazu befähigt werden, sich dagegen zu positionieren. Weiterhin sollen neue jugendkulturelle Angebote in Schwerpunktregionen entwickelt werden – erwünscht ist insbesondere die Erschließung von Zugängen über lebensweltliche Freizeitangebote. Ein weiterer Fokus kann darauf gelegt werden, örtliche Fachkräfte der Jugendarbeit, Sicherheitskräfte und so weiter zu befähigen, aktiv zu werden, wenn Jugendliche mit rechtsextremismusaffinen Einstellungen auffällig werden, um gemeinsam passende Handlungsstrategien zu entwickeln. Von Relevanz ist außerdem, in einer Praxis-Wissenschaft-Kooperation die Entwicklung neuer, tertiärpräventiver, geschlechterreflektierter sowie frauen- und mädchenspezifischer lebensweltorientierter Angebote und Formate der Ansprache zu erproben.
Ziele
- Radikalisierungsgefährdete Jugendliche und Erwachsene und deren soziales Umfeld erkennen aktionsorientierte rechtsextremistische Bestrebungen und Narrative sowie die Wechselwirkung rechtsextremer Agitation mit anderen Ausprägungen von Extremismus und/oder (einzelnen) Phänomenen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und können kompetent darauf reagieren.
- Jugendliche und junge Erwachsene in rechtsextremistischen Schwerpunktregionen haben einen Zugang zu einem breiteren jugendkulturelleren Angebot. Die Akteure lebensweltlicher Freizeitangebote und Fachkräfte vor Ort sind handlungssicher im Umgang mit rechtsextremistischen Einstellungen.
- Rechtsextremismusaffine oder bereits in festen rechtsextremistischen Strukturen verankerte Frauen und Mädchen werden in ihren rechtsextremismusaffinen oder rechtsextremistischen Einstellungen durch Angebote der Rechtsextremismusprävention irritiert, wodurch eine Bereitschaft für Veränderungsprozesse angestoßen werden soll. Akteure und Akteurinnen in Wissenschaft und Praxis haben genauere Erkenntnisse darüber, warum Mädchen/Frauen sich in rechtsextreme Kontexte begeben, dort verweilen und/oder sich distanzieren.
Prävention von islamistischem Extremismus
Islamistische Radikalisierung stellt weiterhin eine große Herausforderung für unsere Gesellschaft dar. Islamistischer Extremismus ist ein vielgestaltiges Phänomen, geprägt von sehr unterschiedlichen Strömungen. Sie umfassen unter anderem jihadistische, salafistische und legalistische Strömungen. Aber auch (ultra)nationalistische Akteure docken an islamistischen Narrativen an und befördern Vorstellungen der Ungleichwertigkeit, Demokratiefeindlichkeit und einer Dichotomie zwischen deutsch versus muslimisch, insbesondere im Internet und sozialen Medien. Radikalisierende Ansprache und jugendaffine Beeinflussungsstrategien im Netz befördern die Verbreitung islamistischer Narrative und Identitätsangebote. Dabei wirken Einflüsse von gesellschaftlichen Konflikten und Kriegen im Ausland auch auf Diskurse und Lebenswelten in Deutschland.
Daher werden Innovationsprojekte der Sekundärprävention gefördert, die pädagogische Fachkräfte der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit sowie der Kinder- und Jugendhilfe in ihrer Handlungssicherheit fortbilden und unterstützen, damit sie Prozesse islamistischer Radikalisierung erkennen, auch solche, die verbunden sind mit nationalistisch-chauvinistischen Identitätsangeboten, und diese gleichzeitig von jugendtypischem Protestverhalten unterscheiden können.
Darüber hinaus werden Projekte gefördert, die sich direkt an Radikalisierungsgefährdete richten und ihnen ermöglichen, islamistische Einstellungen, Symbole, Handlungen und Narrative online und/oder offline zu erkennen und sich kritisch mit ihnen auseinanderzusetzen. Erwünscht ist dabei die Auseinandersetzung mit eigenen Diskriminierungserfahrungen und Weltbildern, identitätspolitischen Beeinflussungen aus dem Ausland und der Entwicklung positiver Bezüge zur vielfältigen demokratischen Gesellschaft. Hinzu kommen Projekte, die verschwörungstheoretische islamistische Narrative und gruppenbezogene Abwertungsstrategien thematisieren oder online in der Prävention jugendaffiner islamistischer Beeinflussung arbeiten.
Schließlich sind Projekte förderungswürdig, die Eltern und weitere Bezugspersonen aus dem privaten Umfeld radikalisierungsgefährdeter Jugendlicher und junger Erwachsener im Umgang mit Gefahren jugendaffiner Beeinflussungsstrategien online stärken.
Ziele
- Radikalisierungsgefährdete Jugendliche und (junge) Erwachsene sind in der Lage, islamistische Einstellungen, Symbole, Handlungen und Narrative, auch solche, die verbunden sind mit nationalistisch-chauvinistischen Identitätsangeboten, online und/oder offline zu erkennen, sich kritisch damit auseinander zu setzen und zu wissen, wo sie Hilfe und Unterstützung finden.
- Eltern und weitere Bezugspersonen aus dem privaten Umfeld radikalisierungsgefährdeter Jugendlicher und (junger) Erwachsener sind sensibilisiert für die Gefahren jugendaffiner Beeinflussungsstrategien online und wissen, wie sie Jugendliche und junge Erwachsene stärken können.
- Fachkräfte erkennen Prozesse islamistischer Radikalisierung, auch solche, die mit nationalistisch-chauvinistischen Identitätsangeboten verknüpft sind, können sie von jugendtypischem Protestverhalten unterscheiden und sind handlungssicher im Umgang mit Radikalisierungsgefährdeten.
Prävention von Linksextremismus/linker Militanz
Eine besondere Herausforderung der Präventionspraxis im Bereich Linksextremismus und linksextreme Radikalisierung liegt darin, dass es bisher kaum gelungen ist, dauerhafte und belastbare Zugänge und vertrauensvolle Arbeitsbeziehungen zu einschlägigen Zielgruppen aufzubauen. Bisherige Ansätze fokussieren stark auf die Vermittlung von Wissen über Linksextremismus und setzen vielfach auf phänomenübergreifend und universalpräventiv ausgelegte Ansätze und Methoden.
Um die Präventionspraxis im Themenfeld Linksextremismus/linke Militanz weiterzuentwickeln, sollen Innovationsprojekte gefördert werden, die Ansätze und Methoden im sekundärpräventiven Bereich zur (pädagogischen) Arbeit mit Radikalisierungsgefährdeten entwickeln und erproben.
Um mit jungen Menschen mit Affinität zu linksextremen Orientierungen ins Gespräch zu kommen, können zudem Projekte gefördert werden, die gesellschaftliche Konfliktthemen wie beispielsweise Globalisierungs- und Kapitalismuskritik, Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele oder gruppenbezogene Abwertungsstrategien und politische Konflikte im Ausland aufgreifen. Diese Themen sind nicht allein in linksextremismusaffinen Milieus mobilisierungsträchtig, können hier jedoch möglicherweise Zugangswege schaffen, da sie an den eigenen thematischen Interessen der Zielgruppe andocken. Besonders förderungswürdig sind dabei zugangserschließende Ansätze, die eine langzeitpädagogische Ausrichtung aufweisen. Weiterhin sollen die Entwicklung und Erprobung von Fortbildungsangeboten gefördert werden, die aktuelle Entwicklungen im Themenfeld aufgreifen und Fachkräfte aus Schule, Kinder- und Jugendhilfe sowie Multiplikatoren und Multiplikatorinnen aus Polizei und Justizwesen phänomenspezifisch weiterbilden.
Ziele
- Junge Menschen mit Affinität zu linksextremen Orientierungen und Handlungen kennen demokratische Handlungsoptionen, setzen sich mit linker Militanz und Gewaltbereitschaft kritisch auseinander und bearbeiten Konflikte gewaltfrei und demokratisch.
- Pädagogische Fachkräfte in Schulen, der Kinder- und Jugendhilfe und Multiplikatoren und Multiplikatorinnen aus Polizei und Justizwesen kennen linksextremistische Phänomene, erkennen linksextreme Radikalisierungsprozesse und können diese hinsichtlich demokratischer Orientierungen reflektieren.
Prävention von Verschwörungsdenken und weiteren demokratiefeindlichen Phänomenen
Verschwörungsdenken ist ein integraler Bestandteil von extremistischen Ideologien. Verschwörungsdenken oder verschwörungstheoretische Erklärungsmuster können aber auch antidemokratische Haltungen jenseits extremistischer Strukturen und Netzwerke hervorbringen und verfestigen. Charakteristisch ist dabei ein grundsätzliches Misstrauen gegen den Staat und seine Institutionen sowie gegen Wissenschaft und Medien. Auch unter Jugendlichen, die keine klare Affinität oder Zugehörigkeit zu einer spezifischen extremistischen Ideologie aufweisen, entfalten Verschwörungsnarrative zunehmend Attraktivität und begünstigen demokratiefeindliche Einstellungen. Die Möglichkeiten zur Verbreitung von Inhalten und zur Vernetzung von Personen, die das Internet zudem als jugendaffines Medium bietet, begünstigen die Herausbildung von demokratiefeindlichen Einstellungen bei jungen Menschen, ohne dass diese einer extremistischen Ideologie eindeutig zuordenbar wären. Vielmehr handelt es sich in solchen Fällen zumeist um eine individuelle Zusammenstellung von Fragmenten aus unterschiedlichen extremistischen Ideologien.
Daher sollen Innovationsprojekte der Sekundärprävention gefördert werden, die Ansätze und Methoden entwickeln und erproben, um On- und Offline-Zugänge zu einschlägigen Zielgruppen mit Affinität zu verschwörungsorientierten Erklärungsmustern herstellen und Betroffene, deren Affinität zu Verschwörungsdenken in sozio-emotionalen Ursachen gründet, in ihren sozialen und emotionalen Kompetenzen stärken. Weiterhin können Projekte gefördert werden, die Konzepte zur Fortbildung von Fachkräften entwickeln, die sich an den Bedarfen und Berufsbedingungen der Zielgruppe orientieren.
Ziele
- Jugendliche und junge Erwachsene mit Affinität zu verschwörungsorientierten Ideologien und Erklärungsmustern werden in ihren verschwörungsorientierten Annahmen irritiert, wodurch Veränderungsprozesse angestoßen werden. Sie setzen sich mit eigenen Weltbildern kritisch auseinander, kennen und nutzen Unterstützung(sberatung) und sind in ihren Kompetenzen gestärkt.
- Fachkräfte erkennen Verschwörungsnarrative und verschwörungsideologische Deutungsmuster, sind handlungssicher im Umgang mit Verschwörungsdenken in ihrem beruflichen Umfeld und kennen Unterstützungsangebote.
- Fachkräfte erkennen demokratiefeindliche Einstellungen, die nicht einer bestimmten extremistischen Ideologie eindeutig zuordenbar sind, sie sind handlungssicher im beruflichen Umgang damit und kennen Unterstützungsangebote, an die sie sich wenden können.
Arbeit gegen Hass im Netz und Desinformation
Die Ausbreitung von Hass im Netz und Desinformation führt zu Verunsicherung, Silencing besonders betroffener Gruppen bis hin zu physischen Angriffen. Jüngeren Menschen begegnen Hass im Netz und Desinformation fast täglich – ihnen fehlen aber vielfach die Kompetenzen im Umgang damit. Hass im Netz und Desinformation führen zum Verlust von Meinungspluralität im Netz und zu politischer Polarisierung und sie können Radikalisierungsprozesse befördern. Die engagierte Zivilgesellschaft benötigt innovative Unterstützung in der Gegenwehr gegen Angriffe im Netz.
In diesem Themenfeld sollen daher Projekte gefördert werden, welche die Internetnutzenden handlungssicher im Umgang mit Hass im Netz und Desinformation machen.
Dafür sollen die Innovationsprojekte effektive Methoden der digitalen Zivilcourage (zum Beispiel Gegenrede) und Moderation sowie Ansätze der Sensibilisierung zu Hass im Netz und Desinformation einschließlich aufsuchender Bildungsarbeit im Netz entwickeln. Internetnutzende sollen Hass im Netz erkennen, wissen, wie sie darauf reagieren und diesen nicht verbreiten. Betroffene sollen im Umgang mit Hass gestärkt werden und diejenigen, die Hass im Netz beobachten, sollen lernen, wie sie unterstützen können. Konkrete Themenstellungen und Herausforderungen zu Hass im Netz (zum Beispiel Misogynie) oder KI-basierte Desinformation sollen bearbeitet und spezifische Angebote demokratischer Medienbildung und -kompetenz entwickelt werden. Diese führen zu einem Verständnis von Desinformation sowie einer Sensibilisierung, diese nicht weiter zu verbreiten. Menschen mit Affinität zu Desinformation sollen wieder Vertrauen in seriöse Informationen gewinnen. Die Projekte sollen dabei neueste technologische Entwicklungen in den Blick nehmen.
Ziele
- Jugendliche, junge Erwachsene und deren Umfeld sowie Engagierte im Netz sind handlungssicher im Umgang mit Hass im Netz.
- Pädagogische Fachkräfte und Multiplikatorinnen und Multiplikatoren thematisieren Hass im Netz und Desinformation in ihrer Arbeit und wenden neue Konzepte der Arbeit gegen Hass im Netz und Desinformation an.
- Jugendliche und (junge) Erwachsene im Netz sind handlungssicher im Umgang mit Desinformation.
Vorbehaltlich der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel werden zur Finanzierung der Innovationsprojekte von 100.000 Euro bis zu 250.000,00 Euro pro Jahr je Innovationsprojekt aus Bundesmitteln zur Verfügung gestellt. Die Zuwendungsempfänger müssen sich angemessen an der Finanzierung und Gestaltung der Projekte beteiligen.
1 Die Verwendung des Begriffs "strukturschwache Regionen" orientiert sich an den GRW-Kriterien (Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur", GRW).
2 Der demokratie- und menschenfeindliche Problemdruck einer Region setzt sich zusammen aus entsprechenden Vorfällen (zum Beispiel Beleidigungen, Bedrohungen, Gewaltdelikten oder öffentlichem Dominanzverhalten) und lokal vorzufindenden Einstellungsmustern, die je nach Kontext eine mehrheitsfähige Verbreitung erfahren und damit die Normalisierung antidemokratischer Positionen vorantreiben können.