Mehrere junge Frauen betrachten Fotos an einer Fotowand

"Wir fordern Erwachsene auf, uns ernst zu nehmen!": Das Projekt "You matter! Mädchen*_Power_Politik"

Mit Aktionen und einer Konferenz wurden Mädchen und junge Frauen unterstützt, ihre Sichtweisen öffentlich zu machen.

Pinselstrich

Immer noch wird es Mädchen und jungen Frauen vielfach schwergemacht, ihre Stimmen in demokratische Prozesse einzubringen. Das Ende 2022 abgeschlossene Projekt "You matter! Mädchen*_Power_Politik" hat sie in Baden-Württemberg dabei unterstützt, ihre Erfahrungen, Sichtweisen und Forderungen in die Öffentlichkeit zu tragen. Hierzu setzte das Projekt eine Vielzahl von Formaten ein, mit denen sich alle Interessentinnen kreativ beteiligen konnten. Höhepunkt war eine dreitägige "Mädchen*konferenz" Anfang Juli 2022, auf der die Teilnehmenden zusammenkommen, sich austauschen und Ideen entwickeln konnten.

Ulrike Sammet, Geschäftsführerin des Projektträgers LAG Mädchenpolitik Baden-Württemberg e. V., spricht im Interview über die Aktionen, die Konferenz und die daraus entwickelten Perspektiven.

Wie war die Situation in Baden-Württemberg, bevor das Projekt begann? Gab es bestimmte Auslöser für das Projekt?
Mädchen* und junge Frauen* sind insgesamt weniger an Prozessen der Demokratieförderung beteiligt als Jungen* und junge Männer*. So sind sie weniger in Strukturen wie Vereinen und Parteien organisiert. Verstärkt wird dies, wenn zur Kategorie Geschlecht weitere Ungleichheitskategorien wie Zuwanderungs- und Fluchterfahrungen oder nicht-heteronormative sexuelle oder geschlechtliche Orientierung kommen. Dies führt dazu, dass mehrfachbenachteiligte Mädchen* in Prozessen der Demokratieförderung häufig nicht vorkommen, sich "abgehängt" fühlen.

Das Projekt hat vielfältige Beteiligungsformate entwickelt. Welche Aktionen gab es im Vorfeld der Konferenz und wie haben sie auf diese hingeführt?
In der ersten Hälfte von "You matter!" fanden lokale Aktionen statt. Beispielsweise wurden Redebeiträge für den Weltmädchen*tag aufgenommen, ein Kurzfilm über das Outing einer Transperson gedreht, Postkarten gegen Sexismus und Diskriminierung entworfen sowie das Online-Format "Meet & Talk: Girls Go Politics" von und für junge Frauen* entwickelt, die mehr über Möglichkeiten des politischen Engagements erfahren wollen. Für die Vorbereitung der Mädchen*konferenz wurden Beteiligungstreffen mit den Teilnehmenden durchgeführt. Die Gruppen konnten sowohl inhaltliche Themen als auch konkrete Programmpunkte benennen.

Mehr zum Projekt

Website des Projekts

Logo des Projekts "You matter!"
Drei junge Frauen diskutieren auf Liegestühlen sitzend
Diskussion auf der "Mädchen*konferenz", Bild: Gerti Ginster-Hasse

Wie war die Konferenz aufgebaut?
14 Workshops boten Raum, Gemeinsamkeiten zu erkennen, aber auch, andere Perspektiven einzunehmen. Es wurde gerappt, Reden geschrieben, Forderungen an die Politik formuliert, Theater gespielt und vieles mehr. In den Pausen und am Abend stand ein kreatives Mitmachprogramm zur Verfügung. Ein weiteres wichtiges Element war eine Podiumsdiskussion mit Politikerinnen der kommunalen und der Landesebene. Bevor die Teilnehmer*innen am Sonntag verabschiedet wurden, trat Dalal Mahra vom ersten Medien-Startup für muslimische Frauenstimmen aus Berlin auf. Ihre Botschaft lautete: "Sei Du selbst!".

Welche Themen standen im Mittelpunkt? Gab es Anliegen, die prominent waren und von vielen geteilt wurden?
Zu den Kernthemen zählten Inklusion, Vielfalt von Geschlecht und sexueller Orientierung, Körperbilder, Antirassismus, Selbstbehauptung, Diskriminierung in der Schule und Antisexismus. Viele der Teilnehmer*innen sind von verschiedenen Formen von Diskriminierung betroffen. Dem stehen der Wunsch und die Forderung nach Gleichberechtigung, Anerkennung und Sicherheit gegenüber. In den Forderungen an die Politik, die während der Mädchen*konferenz gesammelt wurden, finden sich diese wieder, darunter: "Wir fordern Maßnahmen gegen Rassismus in der Schule und auf dem Wohnungsmarkt!" und "Wir fordern Zusammenhalt und weniger Ausgrenzung!". Auf den Punkt gebracht: "Wir fordern Erwachsene auf, uns ernst zu nehmen und uns zu glauben!".

Eine junge Frau kniet auf dem Boden und besprayt Stofftaschen
Sprayen in der Pause, Bild: Gerti Ginster-Hasse

Wie war das Feedback der Teilnehmenden zur Konferenz? Welche Aktionen haben ihnen besonders gefallen?
Für die meisten Teilnehmer*innen stellte es eine Besonderheit dar, einen Raum explizit für sich und andere Mädchen* und junge Frauen* zu haben. Viele äußerten den Wunsch nach einer weiteren Mädchen*konferenz. Zu den Highlights gehörten für viele der Austausch mit den Politikerinnen, die Workshops und die Sprayaktion, außerdem die Vorstellung der eigenen Aktionsgruppenarbeit. Zudem benannten sie insbesondere die allgemeine Atmosphäre und den respektvollen und offenen Umgang miteinander als ein besonderes Highlight.

Wie haben die eingeladenen Politikerinnen auf die Forderungen der Teilnehmenden reagiert?
Sie nahmen die Anliegen ernst und zeigten sich beeindruckt von den Botschaften, die an sie gerichtet wurden. Gleichzeitig wurde deutlich, dass auf klare Fragen wie dem Wunsch nach dem Ende von Kriegen oft keine einfachen Antworten gegeben werden können, weil die politischen Zusammenhänge komplex sind. Einige von ihnen boten auch spontan Praktikumsstellen oder Hospitationsmöglichkeiten an.

Sieben Frauen sitzen und stehen auf einer Bühne, davor Publikum
Auf der Bühne mit Politikerinnen, Bild: Gerti Ginster-Hasse

Welches Fazit ziehen Sie aus dem Projekt? Gibt es Pläne für eine weitere Konferenz? Was nehmen Sie für die Zukunft anderer Projekte zum Thema mit?
Die Mädchen*konferenz und das gesamte Projekt haben gezeigt, dass das Interesse von Mädchen* und jungen Frauen* an politischer und gesellschaftlicher Partizipation groß ist. Wir haben gesehen, dass eine landesweite Konferenz erhöhte öffentlichkeitswirksame Aufmerksamkeit für diese Zielgruppe mit sich bringt, aber in der Vorbereitung und Umsetzung personal- und finanzintensiv ist. Ein weiteres Projekt in dieser Größenordnung ist ohne erneute öffentliche Zuschüsse nur schwer umsetzbar. Deshalb wird es zumindest 2023 keine Mädchen*konferenz in Baden-Württemberg geben. Die Landesarbeitsgemeinschaft Mädchen*politik Baden-Württemberg wird aber auch zukünftig Fachkräfte qualifizieren und stärken, um sie für die Belange marginalisierter Mädchen* und junger Frauen* zu sensibilisieren und um sie zu unterstützen, ihre Stimme auf lokaler und regionaler Ebene zu erheben.


Veröffentlicht im Februar 2023