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TikTok-Prediger und ihr problematisches Islamverständnis

Sogenannte TikTok-Prediger geben in den sozialen Medien problematische Antworten auf Fragen junger Muslime und Musliminnen. Das Modellprojekt "ExPO – Extremismus Prävention Online" hat sich mit diesem Thema befasst und liefert Gegenargumente.

Pinselstrich

Darf man alkoholfreies Bier trinken? Darf man auf die Kirmes gehen? Kann man einen Kafir [Nicht-Muslim] Bruder nennen? Drei von vielen Fragen, die von Muslimen und Musliminnen an sogenannte TikTok-Prediger gestellt werden. Das sind muslimische Prediger, welche die sozialen Medien für die Verbreitung ihrer Botschaften entdeckt haben, und deren Botschaften zumindest sehr konservativ, teilweise auch islamistisch sind. So lautet ihre Antwort auf alle drei Fragen: Nein.

Ein Prediger begründet die Ablehnung alkoholfreien Biers mit der Verwechslungsgefahr zu alkoholhaltigem bei Beobachtern. Ein Muslim könnte den Eindruck gewinnen, ein anderer würde gegen das Alkoholverbot verstoßen, und dadurch angeregt werden, seinerseits Alkohol zu trinken.

Die Sicht eines islamischen Theologen

Um zu zeigen, dass solche Sichtweisen ein Extrem innerhalb des Islams darstellen, hat das Modellprojekt "ExPO – Extremismus Prävention Online" diese und weitere Videos im Rahmen seiner Videoreihe "Wat sachste?" dem islamischen Theologen Prof. Dr. Mouhanad Khorchide vorgespielt und ihn jeweils um eine Einschätzung gebeten. Im daraus entstandenen YouTube-Video erklärt er, welche ganz anderen, weniger extremen Antworten der Islam auf die gestellten Fragen auch ermöglicht.

TikTok

TikTok ist eine Plattform für Kurzvideos. Anfangs bestanden diese mehrheitlich darin, dass Nutzer und Nutzerinnen zu einem Lied synchron die Lippen bewegten oder dazu tanzten. Dadurch verbreitete sich TikTok vor allem unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Inzwischen gibt es Videos zu zahllosen Themenbereichen, die sich weiterhin hauptsächlich an junge Menschen richten.

Ein Mann sitzt mit ausgebreiteten Händen vor einer Bücherwand
Prof. Dr. Mouhanad Khorchide, islamischer Theologe, Bild: ExPO – Extremismus Prävention Online

Zurück zum Bier: Khorchide verweist darauf, der Prophet Mohammed habe gesagt, in einer Situation, in der man den Verdacht habe, jemand könne unislamisch handeln, solle man nicht nur nach einer, sondern nach vielen möglichen Entschuldigungen suchen. Der erste Gedanke sollte also nicht sein: "Aha, da trinkt ein Muslim Bier!", sondern: "Naja, wird es wohl alkoholfreies Bier sein." Wie Khorchide weiter ausführt, sind die strengen Antworten der TikTok-Prediger auf Alltagsfragen auch nur die Spitze des Eisbergs eines problematischen Islamverständnisses.

Themen und Gefahren

Denn das Islambild dieser Prediger ist ein "restriktives System von Regeln und Verboten", so Dr. Piotr Suder, Projektleiter von "ExPO – Extremismus Prävention Online". Es gebe dort eine klare Trennung zwischen der Gemeinschaft der Musliminnen und Muslime und dem Rest der Welt, gepredigt werde die Überlegenheit des Islam und der Muslime in allen Lebensbereichen. Noch dazu dürften die gepredigten Grundsätze niemals hinterfragt werden, sie orientierten sich am Wortlaut des Korans, ohne diese Aussagen in den Kontext zu setzen.

Die Gefahr dieser Videos liege nun vor allem darin, dass die in ihnen behandelten vergleichsweise harmlosen Alltagsthemen als Einstieg zu extremistischem Gedankengut benutzt werden können: "Über diese Art der gemäßigten Videos kann islamistisches Gedankengut subtil verbreitet werden, was schleichend zu antidemokratischen Einstellungen und Fremdheitsgefühlen sowie Ablehnung gegenüber der Gesellschaft beitragen kann", erklärt Suder.

Die Videos richteten sich hauptsächlich an Jugendliche und junge Erwachsene, da vor allem "Themen des Übergangs von einer Lebensphase in eine andere, die eher typisch für junge Menschen sind, aufgegriffen werden. Es geht viel um die Heirat, das Eingehen von Beziehungen, den Einstieg in ein Arbeitsverhältnis". Allerdings gebe es auch Videos, die Jüngere ansprechen sollen, so zum Beispiel zur Frage, ob Muslime und Musliminnen die Anime-Serie "Naruto" schauen dürften.

Reichweite

Doch wie verbreitet sind diese Videos unter Musliminnen und Muslimen überhaupt? Suder erklärt, dass es bislang zwar "keine umfassende Datenerfassung gibt, die die Verbreitung von islamistischen Prediger-Frage-Antwort-Videos und die Zahl deutschsprachiger Prediger in den sozialen Medien quantitativ erfasst." Es handelt sich jedoch keinesfalls um ein Nischen-Phänomen. Der TikTok-Kanal "islamcontent 5778", von dem die meisten Fragen und Antworten des Videos stammen, habe zum Beispiel fast 300.000 Follower und Followerinnen.

"Über diese Art der gemäßigten Videos kann islamistisches Gedankengut subtil verbreitet werden, was schleichend zu antidemokratischen Einstellungen und Fremdheitsgefühlen sowie Ablehnung gegenüber der Gesellschaft beitragen kann."

Dr. Piotr Suder, Projektleiter von "ExPO – Extremismus Prävention Online"

Zwar würden die Videos auch auf anderen Videoplattformen wie YouTube und Instagram platziert, im Hinblick auf TikTok sei jedoch zu beobachten, "dass es einen sehr großen Zuwachs an Videos auf dieser Plattform gegeben hat und die Bedeutung dieser Plattform für islamistische Propaganda in den letzten Jahren enorm gestiegen ist."

Auswirkungen

Die Kommentare der Zuschauenden unter den Videos sind dabei laut Suder zumeist zustimmend. "Dabei kann es jedoch auch darum gehen, ein Teil der Community zu sein und/oder sich als gläubiger Muslim beziehungsweise eine gläubige Muslima zu profilieren." Gegenrede finde sich in den Kommentaren kaum. Ob gar keine Gegenrede stattfindet oder entsprechende Kommentare von den Betreibenden der Kanäle gelöscht werden, lässt sich jedoch nicht erkennen.

Zu bedenken sei allerdings auch: Ein bloßer Konsum solcher und ähnlicher Videos würde selten allein zur Radikalisierung führen. Dazu müssten mehrere Faktoren zusammenkommen.

Alternativen

Was lässt sich diesen Videos nun entgegensetzen? Die Auswahl an alternativen Angeboten, in denen gemäßigte Prediger Fragen beantworten, ist Suder zufolge bisher nicht sehr groß. "Anknüpfend an die starke islamistische Präsenz im Internet sind jedoch im Bereich der Medienarbeit präventive Ansätze entstanden, die gezielt Gegennarrative zu islamistischen Narrativen verbreiten." Sie würden sich an ein breites Publikum richten, da dies auch von den islamistischen Inhalten angesprochen würde. "Auch ExPO möchte über seine Online-Beiträge islamistische Narrative relativieren und alternative Deutungsangebote verbreiten", fasst Suder die Ziele des Projekts auf diesem Gebiet zusammen. Das gelingt schon gut, denn das Video zu den TikTok-Predigern ist der bisher erfolgreichste Beitrag des Projekts auf YouTube.


Veröffentlicht im Mai 2023