Eine Person tippt auf einem Laptop.

"Es einfach mal loswerden können": Online-Beratung für Gewaltopfer

Die Beratungsapp "SupportCompass" ermöglicht Betroffenen von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt eine niedrigschwellige Kontaktaufnahme zu einer Beratungsstelle in ihrer Nähe.

Pinselstrich

Täglich werden in Deutschland drei bis vier rassistisch, antisemitisch oder rechts motivierte Gewalttaten verübt. Die Betroffenen dieser Angriffe können sich mit ihren Fragen und Nöten in jedem Bundesland an die im Dachverband der unabhängigen Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG e. V.) zusammengeschlossenen Beratungsstellen wenden. Sie beraten und unterstützen direkt Betroffene ebenso wie Zeuginnen und Zeugen, Angehörige und Freunde unabhängig, kostenlos und vertraulich. Dabei bieten die Beratungsstellen verschiedene Möglichkeiten an, mit ihnen in Kontakt zu treten – über Telefon, Sprechstunde oder E-Mail. Ergänzt werden diese Formate durch eine vom Bundesprogramm "Demokratie leben!" geförderte Beratungsapp.

Online-Beratung via App

Die Beratungsapp "SupportCompass" bietet Betroffenen von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt eine datenschutzgerechte und leicht zugängliche Möglichkeit, Kontakt zu Beratungsstellen in ihrer Nähe aufzunehmen. Mit dem SupportCompass reagierte der VBRG e. V. auf die seit Pandemiebeginn erhöhte Nachfrage nach digitalen Angeboten. Heike Kleffner vom VBRG e. V. sieht den SupportCompass als eine Ergänzung der aufsuchenden Beratung vor Ort, die weiterhin der wichtigste Bestandteil der Beratung von Betroffenen bleibt.

"Manche Ratsuchenden lassen sich über die App beraten, andere verwenden sie zur Terminvereinbarung auf einem anderen Kanal sowie zum Austausch von Fotos und Dokumenten, manche machen beides", sagt Heike Kleffner. "Die Beratungsstellen nutzen den SupportCompass auch verstärkt für unkomplizierte, schnelle Kommunikation 'zwischendurch' mit Menschen, die sie schon seit längerem beraten und begleiten." Die App ist seit über einem Jahr in den App Stores erhältlich und die bisherige Erfahrung des VBRG e. V. zeigt, dass sich auch Betroffene auf diesem niedrigschwelligen Weg melden, die sonst vermutlich keinen Kontakt zu einer Opfer- und Betroffenenberatung aufgenommen hätten.

SupportCompass

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Mobiltelefon in Comic-Stil

Erfahrungen aus Schleswig-Holstein

In Schleswig-Holstein nutzt Zebra e. V. – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe seit Januar 2022 den SupportCompass als Beratungsmittel – sowohl in Form eines Messengerdienstes als auch mit (Live-)Chat-Angeboten – und geht davon aus, dass gerade die Niedrigschwelligkeit dieses Angebots für die Betroffenen von Bedeutung ist: "Die Ratsuchenden können sich jederzeit entlasten, indem sie Kontakt zu uns aufnehmen – unabhängig davon, wo sie gerade sind, um welche Uhrzeit sie schreiben", berichtet Lena Ritt vom Zebra e. V. "Unter der Woche antworten wir garantiert innerhalb von 24 Stunden." Ratsuchende, die eine schnellere Klärung ihrer Situation anstreben und gerne interaktiv schriftlich kommunizieren, können auch den angebotenen Live-Chat an zwei Tagen in der Woche nutzen.

Zebra e. V. – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe

Online-Beratung und Live-Chat

Drei Screenshots aus der App "SupportCompass"
Screenshots aus der App "SupportCompass"

Die Beratungsanfragen, die ZEBRA e. V. über die App erreichen, sind vielseitig, sowohl was die Taten und Tatmotivationen der Angriffe betrifft, als auch die Betroffenen und ihre Bedarfe selbst. So finden beispielsweise Ratsuchende den Weg zu ihnen, die das Angebot als Entlastung und zum Erfahren von Solidarität nach dem Angriff nutzen, um "es einfach mal loswerden zu können". Andere nutzen das Medium zusätzlich für sich als Dokumentationsmöglichkeit nach dem Angriff und für die Übermittlung sensibler Daten und Dateien. Manchmal handelt es sich um reine Klärungshilfen, beispielsweise wenn die Betroffenen sich nicht sicher sind, ob die Beratungsstelle für ihr Anliegen zuständig ist, oder die Ratsuchenden benötigen konkrete Informationen zu rechtlichen Möglichkeiten. Außerdem erreichen die Beratungsstelle auch Anfragen, die das Angebot nur als Kontaktaufnahme nutzen und danach in die aufsuchende Beratung wechseln.

Vorteile der App

Das Feedback der Ratsuchenden zur schriftbasierten Online-Beratung ist positiv, berichtet Lena Ritt. "Vor allem wird die spontane und flexible Entlastungsmöglichkeit, die zu jeder Zeit nutzbar ist, benannt. Gerade die Möglichkeit der Anonymität und Autonomie scheint eine hohe Wichtigkeit für Nutzende zu besitzen. Ratsuchende bestimmen die Kontaktaufnahme, Antwortfrequenz und geteilte Informationen selbst."

Den SupportCompass gibt es in sieben Sprachen. Bei entsprechendem Bedarf werden Sprachmittlerinnen und -mittler über den SupportCompass in die Beratung hinzugezogen – das ist ein weiterer Vorteil der App.

Die Studie "GUT VERNETZT", die vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft und dem VBRG e. V. durchgeführt wurde, zieht eine erste Bilanz der Erfahrungen bei der Etablierung von Online-Beratungsangeboten für Betroffene rechter, rassistisch und antisemitisch motivierter Gewalt. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die schriftbasierte Online-Beratung die aufsuchende Präsenz-Beratung nicht ersetzt, sondern das Angebot sinnvoll ergänzt und den Ratsuchenden niederschwellige Kontaktmöglichkeiten ermöglicht.

Aktuell bieten folgende Opfer- und Betroffenenberatungen eine Online-Beratung über SupportCompass an:


Veröffentlicht im Februar 2023

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