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Kein "Einfallstor für rechts"

Unter dem Titel "Einfallstor für rechts?" ist eine Studie zur Situation der zivilgesellschaftlichen Verbände und ihrem Umgang mit Rechtspopulismus erschienen. Demnach gelingt es den Verbänden bisher gut, sich gegen rechte Angriffe zu wehren – das Bemühen darf jedoch nicht nachlassen.

Pinselstrich

Ein Team aus wissenschaftlichen Autorinnen und Autoren der Universität Kassel und dem Wissenschaftszentrum Berlin hat untersucht, wie widerstandsfähig die zivilgesellschaftlichen Strukturen gegenüber Rechtspopulismus sind. Die Studie "Einfallstor für rechts? Zivilgesellschaft und Rechtspopulismus in Deutschland" geht den Fragen nach, ob die Zivilgesellschaft von einem gesellschaftlichen Rechtsruck bedroht wird und ob sie gegebenenfalls sogar das Einfallstor für Rechtspopulismus ist. Auch die Strategien der zivilgesellschaftlichen Verbände, sich rechter Einflussnahme entgegenzusetzen, werden untersucht.

Doch nicht nur der Rechtspopulismus ist für die Vereine, Verbände und Organisationen eine Herausforderung, denn sie erleben einen Strukturwandel. "Menschen engagieren sich weiterhin – nur eben weniger häufig in den etablierten Großorganisationen, sondern stattdessen in anderen, kleineren Initiativen, Vereinen, Bewegungen und Verbänden", erläutern die Autorinnen und Autoren. Diese Entwicklung setzt so manchen Verband unter Druck und schwächt unter Umständen auch die Widerstandskraft gegen Rechtspopulismus.

Überblick zur Studie

Für die Studie wurden 26 Verbände, die jeweils einem der folgenden Bereiche zugehörig sind, befragt:

  • Gewerkschaften

  • Kirchen

  • Wohlfahrtsverbände

  • Freiwillige Feuerwehren

  • Fußball

  • Schützenwesen

  • Kultur

  • Naturschutz

Der Fragenkatalog zielt auf die Wahrnehmung rechter Aktivitäten innerhalb von Verbänden oder von außen, die Art der Aktivitäten und die Reaktion der Verbände darauf. Für jeden der acht Bereiche wurden die Ergebnisse der Befragung in einzelnen Kapiteln detailliert ausgewertet.

Die Ergebnisse

74 Prozent der befragten Organisationen waren in den letzten Jahren von rechten Aktivitäten betroffen. "Die Auswertungen der Umfragedaten zeigen, dass die Verbände durchaus sensibel für das mit den rechten Dynamiken verbundene Gefahrenpotenzial sind", heißt es dazu in der Studie. Die Gefährdung der eigenen Organisation wird jedoch nicht von allen gleich groß eingeschätzt. Dies wird auch darauf zurückgeführt, dass vielfach eine systematische Erfassung und Dokumentation rechter Aktivitäten fehlt.

Eine deutliche Mehrheit der rechten Aktivitäten bezieht sich dabei auf den Kontakt in sozialen Medien, Messengerdiensten und den persönlichen Austausch. Bei aller Unterschiedlichkeit der genannten Angriffspunkte sind grundsätzlich in allen Bereichen kommunikative Aktivitäten, wie rassistische, antisemitische und sexistische Äußerungen am stärksten vertreten. Weniger häufig geben die befragten Verbände an, durch Aktivitäten gegen das politische Engagement oder die politischen Positionen der Organisation betroffen zu sein. Materielle Einflussversuche über Spenden und die Gründung konkurrierender Institutionen, wie etwa alternativer Gewerkschaften, sind die Ausnahme.

So unterschiedlich wie die Angriffspunkte, sind auch die Reaktionen der befragten Verbände auf rechte Aktivitäten. Wenige geben an, rechte Aktivitäten zu ignorieren, häufiger genannt wird die Auseinandersetzung mit den Inhalten und beteiligten Personen sowie der Verweis auf die Werte der Organisation und eine Abgrenzung von Personen und rechten Argumenten. Die Ablehnung von Spenden, Abmahnung oder Entlassung von ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeitenden sowie Ablehnung neuer Mitglieder ist eine selten genannte Reaktion. Dabei schildert die Studie auch ein grundsätzliches Dilemma: "Ignoriert man entsprechende Vorfälle, bedeutet das zwar, nicht über jedes Stöckchen zu springen, das rechte Akteure hinhalten; zugleich könnte es aber auch zu einer schleichenden Normalisierung rechter Einstellungen und Anfeindungen beitragen. Setzt man sich kommunikativ mit rechten Einstellungen und Akteuren auseinander, so beschert man ihnen Aufmerksamkeit und spricht ihnen möglicherweise Legitimität zu."

Empfehlungen für die Stärkung der Zivilgesellschaft

Insgesamt lässt sich anhand der Untersuchung festhalten, dass die befragten Verbände sich einerseits der Herausforderung durch rechts bewusst sind und für sich bereits Antworten auf entsprechende Angriffe gefunden haben. Andererseits ist in einigen Verbänden die Dokumentation und systematische Auswertung noch zu verbessern. Dem Befund nach ist die Zivilgesellschaft zum Teil damit überfordert, "weil sie die doppelte Herausforderung zwischen ihrer eigenen schwindenden Funktions- und Integrationskraft sowie der zusätzlichen Herausforderung von rechts meist eher defensiv und reaktiv bearbeiten kann", heißt es im Fazit der Studie.

Für die zukünftige Stärkung der Zivilgesellschaft sollte deshalb nach Meinung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Unterstützung durch "Demokratie leben!" und andere Programme den Verbänden weitere Handlungspotentiale eröffnen. Nur indem sie sich im Bereich der demokratischen Präventions- und Bildungsarbeit weiterentwickeln, können die Verbände der eigenen Überforderung entgegenwirken. Und nur mit voller Kraft kann die Zivilgesellschaft ihren Widerstand gegenüber rechten Aktivitäten aufrechterhalten und ausbauen.


Veröffentlicht im Oktober 2022

Information

Die Studie "Einfallstor für rechts? Zivilgesellschaft und Rechtspopulismus in Deutschland" von Wolfgang Schroeder, Samuel Greef, Jennifer Ten Elsen und Lukas Heller ist im Mai 2022 im campus Verlag Frankfurt am Main erschienen.

Buchtitel ist schlicht rot umrandet.