Das Schwarz-Weiß-Bild zeigt eine Nahaufnahme des Gesichts der Holzfigur von Lilo Gollowitsch. Das Holz zeigt bereits einen Riss auf der Wange der Figur.

Patenschaftsprojekt: Lilo Gollowitsch

Die Holzfigur einer jungen Frau ist in Leutkirch im Allgäu eine wandernde Gedenkstätte. Sie erinnert an die Ermordung von Lilo Gollowitsch und an weitere Opfer des Nationalsozialismus. Jedes Jahr steht die Skulptur vor einer anderen Schule der Stadt.

Pinselstrich

Liselotte Gollowitsch starb mit 16 Jahren in Auschwitz. In Leutkirch war sie somit die jüngste Person, die im Sommer 1942 deportiert und nur kurze Zeit später ermordet wurde. Überlebt haben von ihrer Familie lediglich die ältere Schwester und eine Cousine, die anderen Familienmitglieder starben in Auschwitz, Jungfernhof und Theresienstadt.

In Leutkirch im Allgäu erinnert seit 2013 eine drei Meter hohe Holzfigur an "Lilo" Gollowitsch. Ein Projekt, das auch durch Zufall und Hartnäckigkeit entstand. Jedes Jahr übernimmt eine andere Schule die Patenschaft für diese Figur – stellt sie nach dem Volkstrauertag vor dem Schulgelände auf. Dadurch ist sie zu einer wandernden Gedenkstätte geworden, die an die Vergangenheit erinnert und dem Vergessen entgegensteht.

Wandernde Gedenkstätte in Leutkirch

Die Idee zum Patenschaftsprojekt um Lilo Gollowitsch entwickelte Hubert Moosmayer vom Verein Gegen Vergessen – Für Demokratie. "Wir haben am Volkstrauertag der gefallenen Soldaten gedacht, aber nicht der anderen Opfer in Leutkirch", erinnert er sich. So gründete er vor einigen Jahren die Initiative Orte des Erinnerns, um der Familien Gollowitsch und Haßler aus Leutkirch zu gedenken, die Opfer der Nationalsozialisten wurden. "Es war ein Prozess mit mehreren Zwischenschritten bis wir dieses Format mit der Lilo-Statue gefunden haben, die nun am Volkstrauertag stellvertretend für die anderen Opfer am Kriegerdenkmal steht."

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PDF-Datei: Broschüre Lilo Gollowitsch

Die Publikation "Lilo Gollowitsch" ist ganz in Rot gehalten und zeigt abstrakt den Umriss der Holzfigur.
Illustration: Ralph Neuschel – Neuschel Design
Das Bild zeigt den Kopf der Holzfigur.
Holzfigur von Lilo Gollowitsch, Bild: Matthias Hellmann

Einer dieser Schritte führte zufällig über eine Lehrerin aus der Region, die die Installation "Odyssee" des englischen Künstlers Robert König besuchte. Mit mittlerweile über 40 drei Meter hohen Holzfiguren erzählt der Künstler darin die Geschichte seiner Mutter, die als Zwangsarbeiterin von Polen nach Deutschland kam. Die Installation erinnert als Wanderausstellung an die Vertriebenen und Deportierten während der NS-Zeit. Auf Anregung der Lehrerin kam Robert König mit seiner Installation nach Leutkirch und schuf dort auch eine Holzfigur der Lilo Gollowitsch für den Ort. "Wir haben uns einige Gedanken gemacht, was wir schließlich mit der Figur machen. Nach dem Volkstrauertag in einer Halle verstauben, sollte sie nicht", so Hubert Moosmayer. Die Schulpatenschaften machten es schließlich möglich, eine große Öffentlichkeit anzusprechen und junge Menschen zu ermutigen, sich mit der Geschichte im Ort auseinanderzusetzen. "Wir haben jetzt eine wandernde Gedenkstätte, denn die Gedenkstätte kommt zu den Menschen und nicht die Menschen zur Gedenkstätte."  

Ort des Erinnerns für junge Menschen

"Die Figur soll Anlass für die jeweilige Schule sein, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen", sagt Maria Hönig von der Fach- und Koordinierungsstelle der Partnerschaft für Demokratie in Leutkirch. Dabei können die Schulen frei entscheiden, ob und in welchem Format sie die Geschichte der Familie Gollowitsch erzählen. Unterstützt werden sie durch den Verein Gegen Vergessen – Für Demokratie und die Koordinierungsstelle. Es gab dadurch bereits Lesungen und Kinoabende, Exkursionen und Vorträge über rechte Gewalt. Die Holzfigur wird zudem durch eine Ausstellung begleitet, die aktuell an die Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern angepasst wird. Eine neue Broschüre über Lilo Gollowitsch, die mithilfe von "Demokratie leben!" umgesetzt werden konnte, ist bereits fertig, schließlich sollen die Unterrichtsmaterialien von der Grundschule bis zum Gymnasium Anwendung finden.

Die Aufnahme zeigt die fünf Stolpersteine für die Familie Gollowitsch, darunter Liselotte Gollowitsch, geboren 1925, deportiert 1942, ermordert in Auschwitz.
Stolpersteine für die Familie Gollowitsch, Bild: Partnerschaft für Demokratie in Leutkirch

Broschüre mit neuen Perspektiven   

Deshalb ist die neue Broschüre auch mit Jugendlichen zusammen entstanden, die auf das Leben der 16-jährigen Lilo Gollowitsch aus ihrer Perspektive blicken. "Wir wollten darüber hinaus viele Bilder einbinden, die nochmal eine ganz andere Wirkung haben als der Text", so Maria Hönig. Die Broschüre informiert über das Leben der jungen Frau und ihrer Familie, zeigt unter anderem das alte Kaufhaus der Familie und ein Porträt von Lilo selbst. Sie geht aber auch auf Worte und Sprüche aus der NS-Zeit ein, zum Beispiel "Endlösung" oder "Jedem das Seine".

Dass die Geschichte und auch das erhaltene Bild der Lilo Gollowitsch die Schülerinnen und Schüler berühren, wird durch diese Publikation sehr deutlich. Darin schreibt eine 17-jährige Schülerin: "Sie ist nur 16 Jahre alt geworden und wollte doch einfach nur leben, so wie wir, Freunde treffen, in die Schule gehen und sich vielleicht verlieben. Klar, wir streiten uns manchmal mit Eltern oder Freunden. Das sind dann unsere Probleme. Lilos Probleme, das war eine ganz andere Nummer." Schülerinnen und Schüler arbeiten nun bereits an einem neuen Ausstellungskonzept, das die Holzfigur in Zukunft begleiten soll. Es soll eine Art Zimmer für die Geschichte gestaltet werden.

Vergänglichkeit von Holz

Die Holzfigur der Lilo Gollowitsch altert jetzt langsam, denn Holz ist nun einmal vergänglich. Es ist also eine neue Herausforderung wie sie geschützt und gut befestig werden kann. Jede Generation muss sich somit der Aufgabe stellen, die Erinnerung auf ihre Weise wach zu halten, so bleibt sie letztlich aber lebendig.


Veröffentlicht im November 2022