Eine Wand mit buntem Graffiti und dem Schriftzug "Halle bleibt unteilbar"

Lernen in fremden Lebens- und Arbeitswelten

Auszubildende und junge Menschen im Berufsvorbereitungsjahr engagieren sich in sozialen und interkulturellen Einrichtungen und stärken so ihre Demokratiekompetenzen.

Pinselstrich

Einige Jugendliche wachsen in einem von menschenfeindlichen Einstellungen geprägten Umfeld auf. In der beruflichen Ausbildung kommen sie vielleicht erstmals mit Menschen mit Migrationshintergrund oder Fluchtgeschichte in Berührung. Ausbildungsunternehmen und Berufsschulen stehen dann vor der Herausforderung, mit ihren Berührungsängsten und Vorurteilen umzugehen. Das Modellprojekt "MitWirkung! – Vielfalt lernen, Perspektiven wechseln, Demokratie erleben" der Freiwilligen-Agentur Halle-Saalkreis e. V. möchte dabei unterstützen und gleichzeitig die Demokratiekompetenzen von Auszubildenden, Berufsschülerinnen und -schülern und jungen Menschen im Berufsvorbereitungsjahr stärken.

Konzeptioneller Ansatz "Lernen in fremden Lebens- und Arbeitswelten"

Im Rahmen des Modellprojekts verlassen junge Menschen für einen bestimmten Zeitraum ihren Ausbildungsplatz oder die Berufsschule und engagieren sich ehrenamtlich in sozialen und interkulturellen Einrichtungen. Dort sammeln sie für eine begrenzte Zeit neue praktische Erfahrungen mit Menschen aus ihnen fremden Lebenswelten. Dies kann beispielsweise in Einrichtungen der Flüchtlings- und Migrationsarbeit, der Altenpflege, für sozial Benachteiligte oder in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung geschehen.

Diese sogenannten Perspektivwechseltrainings werden gemeinsam mit den Auszubildenden und jungen Menschen im Berufsvorbereitungsjahr in Workshops vor- und nachbereitet. Demokratiepädagogische Methoden und die Reflexion der Erlebnisse stehen bei den Workshops im Vordergrund. So können die Heranwachsenden eine Verbindung zwischen ihren praktischen Erfahrungen und dem abstrakten Demokratiebegriff herstellen und Demokratie als Form gelingenden Zusammenlebens erleben.

Demokratiekompetenzen junger Menschen stärken

Durch die praktischen Einsätze werden bei den Teilnehmenden Sozial- und Demokratiekompetenzen wie Empathiefähigkeit, Selbstwirksamkeit, Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit gestärkt. Durch eigenes gesellschaftliches Handeln und Mitwirken erleben sie, was Demokratie bedeuten kann. Dies beschreibt Caspar Forner, Projektleiter von "MitWirkung!", als größten Nutzen des Projekts: "Unsere Projektmaßnahmen fördern die Demokratiekompetenz der Teilnehmenden auf den Ebenen der Einstellungen und Werte sowie der praktischen Handlungsfähigkeiten. Demokratie wird als lebendig und aktiv gestaltbar wahrgenommen. Die Teilnehmenden erleben ihr Engagement als gesellschaftlich relevant."

Betriebe und berufsbildende Schulen aus Halle und dem südlichen Sachsen-Anhalt können die Projektangebote in Anspruch nehmen. Die Trainings werden dann im engen Austausch mit ihnen geplant, um konkreten Bedarfen, zum Beispiel der Förderung kultureller Diversität im Betrieb, zu entsprechen.

Perspektivwechseltrainings für Schülerinnen und Schüler an Berufsschulen

So engagierten sich beispielsweise die Schülerinnen und Schüler der Berufsbildenden Schulen "Gutjahr" im Rahmen "Sozialer Lerntage" beim Trendsportring Halle. Der Verein baute in Eigenregie eine neue Sporthalle. Die Aufgaben der Teilnehmenden waren vielfältig: vom Fassaden Putzen bis hin zum Erproben der Trendsportarten. Die Jugendlichen haben einen Eindruck davon bekommen, was ein so großes Bauprojekt alles mit sich bringt. "Die Jugendlichen erfahren Hilfsbereitschaft untereinander, ihre Teamfähigkeit wird gestärkt und die Wertschätzung untereinander", resümiert Schulsozialarbeiterin Franziska Bindseil den Einsatz.

Ein junger Mann führt Arbeiten an einem Mauerwerk aus.
Ein Schüler der Berufsbildenden Schulen "Gutjahr" engagiert sich im Rahmen "Sozialer Lerntage" beim Trendsportring Halle, Bild: Freiwilligen-Agentur Halle-Saalkreis e. V.
Fünf Jugendliche bewegen eine Palette mit Mauersteinen.
Schülerinnen und Schüler der Berufsbildenden Schulen "Gutjahr" packen beim Trendsportring Halle mit an, Bild: Freiwilligen-Agentur Halle-Saalkreis e. V.

Perspektivwechseltrainings für Auszubildende

Auch Ausbildungsbetriebe arbeiten mit dem Projektteam von "MitWirkung!" zusammen: Vier angehende Industriekaufleute haben im Rahmen einer "Lernwoche" die ehrenamtliche Arbeit in verschiedenen sozialen und interkulturellen Einrichtungen begleitet. "Der Einsatz ermöglichte einen neuen Blick auf ehrenamtliche Arbeit, was für mich vorher nie ein Thema war", berichtet Jan, 23, Auszubildender zum Industriekaufmann und aktiv beim WELCOME-Treff für Geflüchtete. Auch Tommy, 21, ebenfalls Auszubildender zum Industriekaufmann und in der Kleiderkammer tätig, betont, wie wichtig der Perspektivwechsel für ihn war: "Ich finde es sehr gut, so etwas mal machen zu dürfen, denn viele hätten es niemals freiwillig gemacht, weil man vielleicht zu sehr aus sich herauskommen muss."

Lernen mit allen Sinnen in realen Settings und außerhalb der "Komfortzone" ist die Idee, die hinter dem Ansatz "Lernen in fremden Lebens- und Arbeitswelten" steckt, erklärt Caspar Forner.

Drei junge Männer sitzen an einem Tisch und unterhalten sich.
Jan, 23, Auszubildender zum Industriekaufmann (Bildmitte), engagiert sich beim WELCOME-Treff für Geflüchtete, Bild: Freiwilligen-Agentur Halle-Saalkreis e. V.
Eine junge Frau steht an einem Tisch und sortiert Kleidung.
Alicia, 23, angehende Industriekauffrau, arbeitet im Rahmen eines Perspektivwechseltrainings im Sozialkaufhaus, Bild: Freiwilligen-Agentur Halle-Saalkreis e. V.

Workshops für Lehrende

Ausbildungsverantwortliche, Berufsschullehrkräfte und Schulsozialarbeitende an berufsbildenden Schulen sind für die nachhaltige Entwicklung von Demokratiekompetenzen bei Heranwachsenden besonders wichtig. Deshalb werden im Rahmen des Modellprojekts auch Sensibilisierungsworkshops und Diversity-Methoden-Trainings für sie angeboten. Im Oktober 2022 fand beispielsweise ein Methodenworkshop zur Konfliktlösung in Schulen für Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen in Sachsen-Anhalt statt, bei dem der Fokus darauf lag, mit welchen Methoden Auseinandersetzungen konstruktiv und demokratisch bearbeitet werden können. Dies diente der Verankerung erprobter Methoden in den Schul- und Ausbildungsalltag.


Veröffentlicht im August 2022