Menschen auf einer Trauerkundgebung, sie stehen vor der Kamera mit den Bildern der Opfer

Kein Schlussstrich – Gedenken an die Opfer des NSU

Das interdisziplinäre Projekt arbeitet künstlerisch Hintergründe und Taten des NSU-Komplexes auf. Die Perspektiven der Hinterbliebenen rücken dabei vom 21. Oktober bis 7. November 2021 in den öffentlichen Fokus.

Pinselstrich

Das Theaterprojekt "Kein Schlussstrich!" zeigt, dass Kunst und Theater mehr können als zu unterhalten oder emotional zu bewegen. Es öffnet die eigene Gedankenwelt, stellt Forderungen, hilft zu verstehen und sensibilisiert das Publikum für das Thema Rassismus.

Mittlerweile liegt der Mord an Abdurrahim Özüdoğru 20 Jahre zurück, er starb im Sommer 2001. Im Jahr zuvor wurde bereits Enver Şimşek mit der gleichen Waffe erschossen. In den Monaten und Jahren danach sterben weitere acht Menschen: Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşik, Halit Yozgat, Michèle Kiesewetter.

Neun der zehn Morde werden mit der gleichen Pistole begangen. Hinzu kommen zwei Bombenanschläge mit Schwerverletzten und mehrere Raubfälle. Die Polizei ermittelt in Richtung der Organisierten Kriminalität. Sie vermutet in einigen Fällen die türkische Mafia hinter den Attentaten, weil acht Opfer einen türkischstämmigen Hintergrund haben. Einige der Hinterbliebenen bringen hingegen immer wieder Fremdenfeindlichkeit als Tatmotiv an.

Die Morde und Anschläge quer durch Deutschland werden erst 2011 einer rechten Terrorzelle, dem Nationalsozialistischen Untergrund, zugeordnet. Der sogenannte NSU-Komplex mit drei Beteiligten geht in die Gerichtsakten ein, der damit verbundene Prozess dauert Jahre an. Viele Fragen sind bis heute offen. Sie drehen sich um den NSU-Komplex, die Größe des Netzwerks, aber auch um die Ermittlungen.

Aufarbeitung: "Kein Schlussstrich!"

Das dezentrale und interdisziplinäre Projekt "Kein Schlussstrich!" bringt nun 15 Städte zusammen, die eines gemeinsam haben: Den Perspektiven der Hinterbliebenen und den (post-)migrantischen Communitys Raum zu geben. Deutschlandweit finden in einem umfangreichen Programm vom 21. Oktober bis zum 7. November Theateraufführungen, Performances, Workshops, Lesungen oder Diskussionsrunden statt. Die Wanderausstellung "Offener Prozess" ist darüber hinaus bis zum 7. November in Chemnitz und bis zum 12. Dezember in Berlin zu sehen.

"Kein Schlussstrich!" versteht sich als ein künstlerisches Projekt und als eine offene Plattform, die sich für eine rückhaltlose Aufklärung rund um den NSU-Komplex einsetzt. Das Theaterprojekt knüpft damit ein einzigartiges Netzwerk, dass nicht nur aus Theaterhäusern und Kulturschaffenden, sondern auch aus mehreren Partnerschaften für Demokratie und unterschiedlichen Institutionen besteht. Die Orte an denen "Kein Schlussstrich!" dabei zusammenkommt sind nicht wahllos, es sind Städte in denen die Opfer lebten und Städte, in denen die NSU-Mitglieder aufwuchsen.

Chemnitz–Dortmund–Eisenach–Hamburg–Heilbronn–Jena–Kassel–Köln–München–Nürnberg–Plauen–Rostock–Rudolstadt–Weimar–Zwickau

18 Tage und 15 Städte

Tatmotiv: Hass

In den einzelnen Veranstaltungen geht es um den Austausch über den institutionellen und strukturellen Rassismus in der Gesellschaft, um die Sensibilisierung des Publikums und den Dialog über Rechtsextremismus. Fremdenfeindlichkeit und Hass als Mordmotiv blieben bei den Ermittlungen lange außen vor, darüber berichteten Angehörige der Opfer. In den vergangenen Jahren mussten sie sich nicht nur dem Verlust eines geliebten Menschen stellen, sie versuchten auch ihre Erlebnisse mit den Ermittlungsmethoden einzuordnen und begegneten dabei der Frage: Wären wir genauso behandelt worden, wenn wir einen deutschen Hintergrund hätten?


Veröffentlicht im Oktober 2021