Schatten von vier Personen

Islamistischer Extremismus: Neue Erkenntnisse für erfolgreiche Distanzierungsarbeit

Vier Projekte haben ermittelt, welche erfolgversprechenden Aspekte in der Distanzierungsarbeit noch zu wenig beachtet werden.

Pinselstrich

Die Distanzierung vom islamistischen Extremismus ist ein komplexer Prozess. Professionelle Distanzierungsarbeit bietet Ausstiegswilligen dabei Unterstützung, allerdings liegen bisher wenige Erkenntnisse dazu vor, welche Aspekte für eine erfolgreiche Distanzierung besonders wirksam sind. In seiner Schriftenreihe stellt das Violence Prevention Network die Ergebnisse von vier Projekten der Distanzierungsforschung zu dieser Frage vor.

Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf Aspekten, die in der professionellen Distanzierungsarbeit bislang wenig Beachtung finden, für eine gelingende Distanzierung aber wichtige Beiträge leisten können. Die Projekte haben mit unterschiedlichen Ansätzen versucht, diese Punkte zu identifizieren, und konnten einige übereinstimmende Erkenntnisse herausarbeiten.

Freunde einbeziehen

Eine wichtige Erkenntnis ist, dass Freunde und Peers vor allem in frühen Phasen des Ausstiegs eine Unterstützung sein können, sofern sie von außerhalb der Szene kommen. Diese Personen müssten von der Distanzierungsarbeit stärker in den Prozess eingebunden werden, denn bislang liegt der Fokus zu sehr auf den Freunden und Peers, die eine Rolle bei der Hinwendung zum Extremismus spielen.

Schuld- und Schamgefühle sowie Desillusionierung thematisieren

Häufig empfinden Personen, die sich distanzieren, Schuld- und Schamgefühle, zum Beispiel gegenüber Verwandten. Ausgelöst werden diese Gefühle durch das Nachdenken über das eigene Handeln in der islamistischen Szene. Diese Gefühle können eine wichtige Rolle als Antrieb zur Distanzierung spielen, sollten also stärker thematisiert werden, als dies bislang der Fall ist.

"Weil, da habe ich nachgedacht, so: Ok, warum hast du das jetzt gemacht? […] Du hast deine Mutter traurig gemacht, du hast deine Schwester halt in dem Alter das sehen lassen […] Und dann habe ich so angefangen nachzudenken über das, was ich alles gemacht hab' in den letzten Jahren."

Aussage einer sich distanzierenden Person

Auch sollten Aspekte intensiver behandelt werden, die das idealisierte Bild ins Wanken gebracht haben, das die sich Distanzierenden von der islamistischen Szene hatten. Zu einer solchen Desillusionierung kann es zum Beispiel kommen, wenn sie aufgrund mangelnder Kampferfahrung nicht ernst genommen werden. Oder, wenn ihre Eltern abgewertet werden, weil sich ihr Glaubensverständnis von dem der islamistischen Extremisten unterscheidet.

Nicht-extremistische islamische Inhalte vermitteln

Sowohl für begleitete als auch für unbegleitete Distanzierungsprozesse können moderate Moscheegemeinden einen wichtigen Beitrag leisten, weil sie islamische Inhalte ohne extremistische Tendenzen vermitteln. Die Kooperation mit ihnen sollte also vertieft werden. Vor allem für Personen, die sich unbegleitet distanzieren, sind zudem online erhältliche Informationen zum Islam relevant. Solche moderaten Inhalte müssten stärker als bisher bereitgestellt werden, um ein Gegengewicht zu den zahlreichen islamistischen Inhalten zu bilden.

Alternative Identitätsangebote schaffen

Um eine Re-Radikalisierung weniger wahrscheinlich zu machen, ist es wichtig, alternative Identitätsangebote zu schaffen. An prominenter Stelle steht hier die Integration in den Arbeitsmarkt, aber auch das Aufzeigen von sinnstiftenden Freizeitaktivitäten kann helfen. Hier wird zum Beispiel eine intensivere Zusammenarbeit mit Sport- oder Kulturvereinen empfohlen. Auch ein Engagement bei sozialen Bewegungen kann ein alternatives, nicht-extremistisches Identitätsangebot darstellen, wenn das Bedürfnis besteht, anderen zu helfen.

Näheres über die Vorgehensweisen der Projekte und zahlreiche weitere Erkenntnisse findet sich in Heft 10 der Schriftenreihe des Violence Prevention Network: "Was wir über Distanzierung wissen. Aktuelle Erkenntnisse der Forschung und Empfehlungen für die Praxis der Distanzierungsarbeit".


Veröffentlicht im März 2023