Ein Mann steht dem Betrachtenden mit dem Rücken zugewandt.

Distanzierungsarbeit mit jungen Menschen

Das Projektteam von "D-Netz" geht auf rechtsextrem orientierte Jugendliche zu und zeigt ihnen mithilfe des Distanzierungstrainings sinnstiftende Handlungs- und Haltungsalternativen auf, um einen Einstieg in die Szene zu verhindern.

Pinselstrich

Eine abwertende Sprache, verallgemeinernde Zuschreibungen von meist negativen Eigenschaften zu Gruppen oder eine offene Ablehnung demokratischer Grundwerte: Dies können erste Anzeichen eines rechtsextremen Weltbildes sein. Das Projekt "D-Netz: Netzwerke der Distanzierungsarbeit und Trainings mit rechtsextrem gefährdeten und orientierten Jugendlichen" unterstützt in sechs thüringischen Fokusregionen Fachkräfte im Umgang mit Jugendlichen und jungen Menschen, die mit diskriminierenden Einstellungen und Handlungen auffallen und gefährdet sind, sich im rechtsextremen Spektrum zu radikalisieren.

"Es ist wichtig, bereits pauschalisierte Abwertungen ohne klaren Szenebezug in Frage zu stellen und so die weitere Hinwendung zu menschenverachtenden Deutungsmustern zu verhindern", sagt Herr Wiechmann, Projektleiter von D-Netz. Um einstiegsgefährdete Jugendliche zu erreichen, arbeitet das Projektteam mit dem Ansatz der aufsuchenden Distanzierungsarbeit. Dabei geht das Team auf die jungen Menschen zu und interveniert, bevor diese Kontakte zu rechtsextremen Gruppen aufbauen. Sie erreichen die jungen Menschen darüber hinaus mit Hilfe der Ansprache von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus der Jugendarbeit und in Kooperation mit den Jugendämtern vor Ort.

Was ist Distanzierungsarbeit?

Bei der Distanzierungsarbeit geht es um die Distanzierung von menschenfeindlichen und rechtsextremen Einstellungen. Sie arbeitet aufsuchend, gibt Impulse und schließt die Lücke zwischen allgemeiner Demokratiebildung und Ausstiegsarbeit. Sie unterstützt, wenn die Problemlagen junger Menschen nicht mehr in Regelstrukturen, wie in der Schule oder in Angeboten der Jugend(sozial)arbeit, bearbeitet werden können.

"Die Distanzierungsarbeit wird aus unserer Sicht immer relevanter – schlicht, weil die Zielgruppe immer größer wird", so Herr Wiechmann. "Als Maßnahme haben wir im Modellprojekt 'D-Netz' für unsere primäre Zielgruppe, den sogenannten rechtsextrem einstiegsgefährdeten und orientierten jungen Menschen, die intensivpädagogischen Distanzierungstrainings." In Vorbereitung auf diese Trainings besuchen die Sozialarbeiterinnen und -arbeiter von D-Netz die Jugendlichen in der Schule oder im Jugendclub und machen ihnen Gesprächsangebote, um sie kennenzulernen.

Lebensweltnahe Workshops erleichtern den Erstkontakt

Oft werden die Projektmitarbeitenden von unterstützungssuchenden Pädagoginnen und Pädagogen kontaktiert, etwa wenn es einen Vorfall an einer Schule gab, der zur Anzeige gebracht wurde. Die Projektmitarbeitenden prüfen dann gemeinsam mit der Schulleitung und den Schulsozialarbeitenden, welche Workshops oder Projekttage an der Schule ermöglicht werden können, um den Vorfall mit den Schülerinnen und Schülern aufzuarbeiten.

In den lebensweltnahen Workshops lernen die Teilnehmenden, wie sie rechtsextreme und fremdenfeindliche Einstellungen erkennen und sich davon distanzieren können. Dies kann mit einem Graffiti-, Gaming- oder einem Instagram-Workshop umgesetzt werden. Dabei steht vor allem der Spaß im Vordergrund und nicht die Belehrung. So entstehen leicht Gespräche, welche den Sozialarbeitenden erste Einblicke in die Denkweisen und Einstellungen der Jugendlichen ermöglichen. Bei Bedarf können sie dann intervenieren, wenn zum Beispiel im Gespräch eine menschenverachtende Einstellung geäußert wird. Dieser Erstkontakt mit den einstiegsgefährdeten Jugendlichen dient dem D-Netz-Team als Auftakt für ein mögliches Distanzierungstraining oder einen Beratungsprozess.

Individuelles Distanzierungstraining

Das intensivpädagogische Distanzierungstraining wird individuell an die Problemlagen der Jugendlichen angepasst und bietet in Einzel- oder Gruppentrainings die Chance, sich von diesen Strukturen zu lösen und neue Perspektiven zu erkennen. Ziel ist es, ihnen eine Lebensperspektive zu eröffnen, die frei von diskriminierenden und demokratiefeindlichen Handlungen und Einstellungen ist.

"Wir führen zwölf intensivpädagogische Trainings im Jahr durch. Das heißt leider, bei der Größe der Zielgruppe auch immer eine Auswahl treffen zu müssen", sagt Herr Wiechmann. Die Beratungsanfragen nehmen von Jahr zu Jahr zu. Auch pädagogische Fachkräfte zählen zur Zielgruppe des Projekts und werden im Umgang mit den betroffenen Jugendlichen unterstützt. "Wir haben in Thüringen für unsere sekundäre Zielgruppe der Pädagoginnen und Pädagogen den landesweiten Auftrag für Beratungen, Fortbildungen und Coachings. Wir vermitteln ihnen insbesondere Erstinterventionen und gelingende Gesprächsführung."

Das Projekt entwickelt so eine Struktur, welche die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren vom ersten Schritt der Sensibilisierung und Beratung bis hin zu einem möglichen Distanzierungstraining der rechtsextrem einstiegsgefährdeten und orientierten Jugendlichen begleitet. Gleichzeitig wird mit diesem regionalen Netzwerk auch die Nachbetreuung der Jugendlichen und jungen Menschen aus den Trainings gewährleistet.

Herausforderungen

Der Zugang zu Regionen und Jugendämtern hängt jedoch von der politischen Situation vor Ort ab. "Coachingprozesse mit Personen in defizitären Strukturen, wie etwa Jugendarbeit im ländlichen Raum, sind herausfordernd, da die Rahmenbedingungen ein professionelles Arbeiten erschweren können", sagt Herr Wiechmann. "Auch die zunehmende Entgrenzung von Sagbarem und Machbarem beeinflusst das Selbstbewusstsein der Zielgruppe, aber auch in pädagogischen Arbeitsteams werden menschenverachtende Aussagen salonfähiger. Wir müssen deshalb auch in der Erwachsenenbildung die Reflexion von eigenen Haltungen noch präsenter setzen."

Daher gilt es, die gebildeten Netzwerke der Distanzierungsarbeit aus Fachkräften, Träger- und Regelstrukturen vor Ort auszubauen und das relativ neue Arbeitsfeld der aufsuchenden Distanzierungsarbeit auch überregional zu verbreiten. So werden die Maschen des D-Netzes sukzessive immer enger geknüpft – damit keiner durch das Netz fällt und in die rechtsextreme Szene abdriftet.


Veröffentlicht im Oktober 2024

Neues Handlungsfeld

In einem bpb-Fachartikel grenzt Distanz e. V. die Distanzierungsarbeit von der Ausstiegsarbeit ab und sorgt damit auch für eine überregionale Verbreitung des Ansatzes der aufsuchenden Distanzierungsarbeit. Die Projektergebnisse von "D-Netz" sind in der Fachliteratur veröffentlicht und machen so auch das neue Handlungsfeld außerhalb Thüringens bekannt.