Das Bild ziegt eine schwarz-weiße Luftaufnahme von Heusenstamm in Hessen.

Digitale Spurensuche in Heusenstamm

Ein interaktiver Stadtrundgang macht die Stadtgeschichte zur Zeit des Nationalsozialismus erfahrbar und ist dabei gleichzeitig eine Mahnung, die Vergangenheit nicht zu vergessen.

Pinselstrich

Dorf- und Stadtgeschichten sind gemeinsame Erinnerungen, die so lange lebendig bleiben bis die letzten Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gehen. Und dann: Die Erzählungen verschwinden langsam aus dem kollektiven Gedächtnis. Es gibt allerdings Erfahrungen, die nicht in Vergessenheit geraten dürfen.

In der hessischen Stadt Heusenstamm hat sich seit 2021 ein Arbeitskreis intensiv mit der Stadtgeschichte während des Nationalsozialismus auseinandergesetzt, um das Vergessen zu verhindern. Entstanden ist dabei eine dichte Rekonstruktion des Stadtbilds mit Dokumenten und Tonaufnahmen, die in einem Rundgang mithilfe von QR-Codes erlebt werden kann. Diese QR-Codes werden mit dem Telefon gescannt und leiten dann zur Website "Heusenstamm in der NS-Zeit" weiter. Der Rundgang dauert rund ein bis zwei Stunden.

Stolpersteine gegen das Vergessen

Einige Stolpersteine gab es bereits in Heusenstamm, die an die jüdischen Familien erinnern, nun sind auch die dahinterstehenden Schicksalsschläge erfahrbar. Die Häuser von einst machen so ein geradezu hautnahes Erleben möglich. "Es gab an den Gedenktagen wie dem 27. Januar ein gemeinsames Abgehen der Stolpersteine, aber bisher keinen Rundgang mit Informationen zu den Menschen oder zur damaligen Etablierung des NS-Systems im Ort", sagt Hella Rabien von der Fach- und Koordinierungsstelle der Partnerschaft für Demokratie in Heusenstamm. Der Rundgang behandle aber vor allem auch die damalige Verbreitung des nationalsozialistischen Systems in Heusenstamm.

Übersicht

Internetauftritt
Heusenstamm in der NS-Zeit

Zeitzeugen-Interview auf dem YouTube-Kanal

Das Bild zeigt einen QR-Code an einem Straßenschild. Eine Frau fotografiert diesen QR-Code gerade mit ihrem Mobiltelefon ab.
Stadtrundgang mit QR-Codes, Bild: Sarah Fey
Das Foto von der Eröffnungsfeier zeigt den Rathausplatz mit einigen Menschen, die Abstand voneinander halten. Auf der linken Bildseite sprechen zwei Personen in ein Mikrofon.
Eröffnung des Stadtrundgangs im Mai 2022 an der Station "Altes Rathaus", Bild: Sarah Fey

Ausgangspunkt für den Stadtrundgang waren zwei Bücher der Heimatforscherin Gisela Beez mit zwei Kolleginnen, in denen die Stadtgeschichte zur NS-Zeit gut dokumentiert ist. Die Grundlage bildeten somit die Bücher "Sie wohnten nebenan“ (mit Sabine Richter-Rauch) und "Spurensuche: Heusenstamm in der NS-Zeit" (mit Brigitte Fischer). "Wir haben überlegt, inwieweit wir den Stadtrundgang mit der Website spannend aufbereiten können, so dass eben nicht nur Texte zu lesen sind", so Hella Rabien. Deshalb sind in der Website unter anderem eingesprochene Hörbeiträge eingebunden. "Mit dem Projekt wollten wir vor allem junge Menschen ansprechen und Bilder und Hörbeiträge haben sich dafür angeboten." Die Tonaufnahmen entstanden an einen Nachmittag. Es sind unter anderem Stimmen über den Schulalltag oder die Reichspogromnacht im November 1938 zu hören. "Heusenstamm in der NS-Zeit" bietet darüber hinaus auch Grafiken oder Dokumente aus der Zeit. Der Stadtrundgang wird zudem durch Interviews mit dem Zeitzeugen Heinz Horch ergänzt, der sich an seine Jugend vor dem Krieg erinnert.

Die zusammengetragenen Informationen und Interviews wirken beklemmend und für die Koordinatorin Hella Rabien ist Station 9 "Sie war schon in Amerika" sehr bewegend, denn sie erzählt über das Schicksal von Familie Reinhard. "Die jüdische Familie hat schon recht früh das Exil gesucht – vor allem die Kinder sind in die USA geflohen. Nach der Machtergreifung hat Fanny Reinhard ihre Kinder besucht, ist aber nach Heusenstamm zurückgekehrt." Heute liegen vier Stolpersteine vor dem Haus. Es habe bereits viel Hintergrundwissen zu den jüdischen Familien gegeben, dem Arbeitskreis sei es zudem aber wichtig gewesen, das Leben in dieser Zeit nachzuzeichnen: Wo war die Gestapo in Heusenstamm aktiv? Wo wurden die Zwangsarbeiter untergebracht? Wo zeigte sich Widerstand gegen die Kontrollen der Nationalsozialisten? "All diese alltäglichen Grausamkeiten des Systems sollen sichtbar gemacht werden", so Hella Rabien.

Die damaligen Gegebenheiten sind nun auf der Website nachvollziehbar. Es war ein Arbeitsprozess, der ein gutes Jahr gedauert hat – von den ersten Plänen über die Erstellung einer Website durch ein Designstudio bis hin zur Eröffnung des Rundgangs.

Erinnerungskultur weiterentwickeln

Ein hoher Arbeitsaufwand, der sich gelohnt hat. Mithilfe des Projekts sollen nun weitere Stolpersteine und auch eine Stolperschwelle vor dem alten Doktorhaus, der Station 13 folgen. Die sogenannten Stolperschwellen sind breiter und werden zum Gedenken von Opfergruppen verlegt. Im Stadtarchiv von Heusenstamm finden sich mehrere dokumentierte Fälle von Patientinnen und Patienten, die zwangssterilisiert oder zwangseingewiesen wurden.

Es gibt darüber hinaus Ideen, Lesungen und einen geführten Stadtrundgang über die Volkshochschule sowie in Schulen anzubieten. Die kollektive Erinnerung wird so in die nächste Generation getragen – denn eines ist klar, niemals darf dieser Teil der Stadtgeschichte vergessen werden.

Nahaufnahme der Erinnerungstafel für die Opfer des Nationalsozialismus am einstigen Rathaus Heusenstamm. (Volltextalternative in Extraseite)
Erinnerungstafel am Alten Rathaus, Bild: Sarah Fey

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Veröffentlicht im Oktober 2022

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