Eine Hand, die ein Smartphone hält

Digitale Gewalt lässt junge Erwachsene verstummen

Gewalt im Netz kann dazu führen, dass Betroffene sich dort aus der demokratischen Debatte zurückziehen. Wie eine Studie zeigt, betrifft dies besonders junge Menschen.

Pinselstrich

Gewalt im Netz hat viele Formen, von Beleidigungen über ungewollt erhaltene Nacktbilder bis hin zu Bedrohungen von Leib und Leben. Häufig wird diese in sozialen Medien ausgeübt und trifft somit besonders junge Menschen.

In Zusammenarbeit mit der Universität Klagenfurt hat die Beratungs- und Unterstützungsstelle HateAid die Studie "In meinem Netz soll es keine Gewalt geben!" durchgeführt, um unter anderem zu erfahren: Wie häufig nehmen junge Erwachsene digitale Gewalt wahr oder sind gar selbst betroffen? Welche Formen der Gewalt gibt es? Und wie reagieren die Betroffenen darauf?

Was ist digitale Gewalt?

Unter digitaler Gewalt werden in der Studie "verschiedene Formen von Belästigung, Herabwürdigung, Diskriminierung oder sozialer Isolation im Internet oder mit Hilfe elektronischer Kommunikationsmittel" verstanden. Orte des Auftretens sind laut Studie "'klassische' soziale Netzwerke, öffentliche Chat-Räume oder Gaming-Plattformen", sie kommt aber auch in "privaten Nachrichten per Messenger Apps oder per E-Mail" vor.

Wer wurde befragt?

Befragt wurden insgesamt 3.367 Personen ab 14 Jahren mit Wohnsitz in Deutschland, wobei das Hauptaugenmerk der Studie auf den Antworten von 1.868 Personen zwischen 18 und 27 Jahren liegt. Diese wurden mit den Antworten der Altersgruppen 14 bis 17 Jahre, 28 bis 42 Jahre und ab 43 Jahren verglichen. Die Gesamtstichprobe ist dabei repräsentativ im Hinblick auf Geschlecht und Bildung.

Welche Formen digitaler Gewalt wurden beobachtet und erlebt?

Die Gruppe der jungen Erwachsenen beobachtete und erlebte digitale Gewalt häufiger als jede andere befragte Altersgruppe: Fast zwei Drittel haben sie mindestens einmal beobachtet, fast ein Drittel hat sie mindestens einmal erlebt. Sie zeigt sich in unterschiedlichen Formen, vor allem:

  • Beleidigungen (94,8/92,4 Prozent),

  • Hassrede / hasserfüllte Nachrichten (92,1/82,6 Prozent),

  • Verbreitung von Lügen über eine Person (86,2/77,8 Prozent).

64,9 Prozent sahen sexualisierte Übergriffe oder ungewollte Nacktbilder, 60 Prozent erlebten beziehungsweise erhielten sie.

Wie wurde auf digitale Gewalt reagiert? Der Silencing-Effekt

Diejenigen jungen Erwachsenen, die bereits digitale Gewalt erfahren haben, reagierten am häufigsten darauf, indem sie Funktionen der jeweiligen sozialen Medien nutzten, um sich zu wehren:

  • den gewaltverbreitenden Account blocken (91 Prozent)

  • den Post oder die Nachricht melden (87 Prozent)

  • ihre Privatsphäre-Einstellungen anpassen (84 Prozent)

Ein großer Teil der Betroffenen reagierte aber auch damit, vorsichtiger zu formulieren (63 Prozent) und weniger zu posten (62 Prozent). Dabei handelt es sich um einen sogenannten Silencing-Effekt: Als Reaktion auf Gewalt im Netz beteiligen sich die Betroffenen nicht mehr so sehr wie zuvor an der öffentlichen Debatte, ihre Stimmen werden zumindest teilweise zum Verstummen gebracht.

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Ergänzt wird dies durch das Ergebnis, dass es eine ähnlich hohe Zustimmung zu bestimmten Strategien gibt, um zu vermeiden, von Gewalt im Netz betroffen zu sein:

  • grundsätzlich vorsichtig im Online-Verhalten sein (57 Prozent)

  • die eigene Meinung online nicht mehr sagen (51 Prozent)

  • online keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen (46 Prozent)

Diese hohe Akzeptanz von Verhaltensweisen, die zu einem Verstummen bestimmter Stimmen im Online-Diskurs führen können, stuft HateAid als besorgniserregend in Hinblick auf eine demokratische Gesellschaft ein. Schließlich lebt die Demokratie davon, dass sich alle beteiligen, und sich nicht aus Angst vor Gewalt zurückziehen.

Welche Maßnahmen gegen digitale Gewalt?

Um digitaler Gewalt effektiv zu begegnen, sieht HateAid die Notwendigkeit "mehrdimensionale[r] Ansätze auf gesamtgesellschaftlicher Ebene", inklusive der Sensibilisierung von Polizei und Justiz für die zur Anzeige gebrachten Fälle und die Betroffenen. Auch müssten Beratungsstellen bekannter gemacht werden. Denn nur 31 Prozent der von digitaler Gewalt Betroffenen wenden sich an diese, obwohl sie mit 34 Prozent mit Abstand das höchste Vertrauen aller Befragten genießen.

Diese Stellen bieten verschiedenste Arten von Unterstützung an, etwa bei der Meldung von Inhalten, der Erstellung von Anzeigen und der Prozesskostenfinanzierung. Sie tragen so dazu bei, das Internet zu einem demokratischen Ort ohne Gewalt und Ausgrenzung zu machen.


Veröffentlicht im September 2024

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