Vor der Gründung Israels im Jahre 1948 war Palästina seit 1922 britisches Mandatsgebiet, das Land stand also unter britischer Vormundschaft. Großbritannien hatte sich bereits 1917 in der Balfour-Deklaration dazu bekannt, die "Errichtung einer nationalen Heimstätte des jüdischen Volkes in Palästina" mit Wohlwollen zu betrachten und die "größten Anstrengungen [zu] unternehmen, um das Erreichen dieses Ziels zu erleichtern." Die Einwanderung von Jüdinnen und Juden nach Palästina wurde jedoch begrenzt. Um eines der dafür nötigen Zertifikate zu erhalten, mussten Einwanderungswillige handwerkliche, hauswirtschaftliche oder landwirtschaftliche Fähigkeiten nachweisen.
Jüdische Selbsthilfe zur Auswanderung
Zur Vermittlung dieser Kenntnisse gründeten Jüdinnen und Juden daraufhin sogenannte Hachschara-Einrichtungen (auf Deutsch: "Tauglichmachung, Vorbereitung"). Sie entstanden hauptsächlich auf landwirtschaftlichen Gütern in Brandenburg, aber auch in weiteren Teilen Deutschlands, einige wurden zudem in anderen europäischen Ländern gegründet. Vor allem seitdem die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, wurde in den Hachscharot (Mehrzahl von Hachschara) auch vermehrt eine jüdische Identität vermittelt. Durch ihre Arbeit schafften es die Einrichtungen, Tausenden Jüdinnen und Juden mittels Auswanderung das Leben zu retten.
Geschichte in Comic-Form
Diesem wenig bekannten Kapitel jüdischer Geschichte in Deutschland widmet sich das Modellprojekt "Chasak! Gegen Antisemitismus im ländlichen Raum" in der dreiteiligen Comic-Reihe "Chawerim", deren letzter Teil gerade erschienen ist. "Chawerim" bedeutet "Freunde", es war eine Selbstbezeichnung derjenigen, die in Hachschara-Einrichtungen lernten.
Bestellen
Die Comics basieren unter anderem auf Interviews mit Eli Heymann und Hilde Zimche, die als Jugendliche im Hachschara Ahrensdorf in Brandenburg ausgebildet wurden. Zeichner und Autor Sascha Hommer, der sich in seinem Werk wiederholt mit politischen Themen beschäftigt, wirft Schlaglichter auf drei Phasen der Hachschara-Bewegung:
- 1940, als Hilde nach Ahrensdorf kommt und dort Eli kennenlernt. Da die Nationalsozialisten jüdischen Kindern mehr und mehr den Besuch von Schule und Lehre verbieten, werden auch sie in den Hachscharot ausgebildet.
- 1941, als die Hascharot von den Nationalsozialisten geschlossen oder zu Zwangsarbeitslagern umgewandelt werden. Die Erwachsenen beraten, ob sie in den Untergrund gehen oder bei den Kindern bleiben sollen.
- 1945, als Überlebende nach der Befreiung des KZ Buchenwald einen Kibbuz gründen. Erst ist er bei Weimar angesiedelt, dann in der Nähe von Fulda.
Volltextalternative zu den Ausschnitten
Absichtlich gibt es in der Comic-Reihe keine Szenen, die in Konzentrationslagern spielen, denn "wir hätten sie nebenbei erzählen müssen, und wir haben keinen Weg gefunden, das zu tun", so die Herausgeber.
Der knappe Umfang (jeweils 13 Seiten) und die Unmittelbarkeit, mit der die Situationen der Protagonisten dargestellt werden, machen die Comics zu einem niedrigschwelligen Einstieg in ein komplexes Thema. Dies passt zur Hauptzielgruppe des Modellprojekts "Chasak!", Kinder und Jugendliche mit wenig bis keinem Zugang zu kultureller Bildung. Angereichert sind die Comics mit Hintergrundinformationen über die Hachschara-Bewegung und Kurzbiografien ihrer wichtigsten Mitglieder.
Durch die Kombination aus leichtem Einstieg und vertiefendem Material wird der Comic unter anderem in der Schule und der sozialen Arbeit eingesetzt, aber zum Beispiel auch von Geschichtsvereinen. Positive Rückmeldungen gibt es laut Projektleiter Benno Plassmann aus diesen Bereichen ebenso dafür, ein weitgehend unbekanntes Kapitel jüdischer Geschichte mit dem Comic bekannter zu machen. Dies werde auch von jüdischen Familien hervorgehoben, deren Vorfahren in Hachschara-Einrichtungen ausgebildet wurden.
Ausstellung zu weiteren Aspekten
In Ergänzung zur Comic-Reihe hat das Institut für Neue Soziale Plastik, der Träger des Modellprojekts, auch eine Ausstellung entwickelt. Deren 14 Aufsteller bieten informative Texte über die Bewegung, über ihre Protagonisten und Protagonistinnen samt Aussagen von diesen. Dazu kommen historische und gegenwärtige Fotos und Ausschnitte aus damaligen Zeitungen. Gefördert wird die Ausstellung mit Mitteln des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg und der Amadeu Antonio Stiftung. Sie war bisher unter anderem in der Staatskanzlei Potsdam zu sehen sowie an verschiedenen kleineren Standorten in Brandenburg. Wer Interesse an einer Buchung der auch auf Englisch verfügbaren Ausstellung hat, kann sich per E-Mail mit dem Institut in Verbindung setzen.
Veröffentlicht im Juni 2023