Der Ausschnitt des Veranstaltungsplakats zeigt eine bunte Zick-Zack-Straße auf schwarzem Grund in Grün, Weiß, Rot, Gelb und Blau.

Behindert und verrückt feiern in Greifswald

Das Projekt BAEM! vermittelt Wissen über queere Vielfalt und antidiskriminierendes Handeln. Das erste Disability & Mad Pride Festival soll nun dazu beitragen, die Wahrnehmung von behinderten Menschen in der Öffentlichkeit zu verändern.

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Es ist nicht immer einfach, Menschen mit unterschiedlichen Lebensrealitäten zusammenzubringen. Viele Faktoren wie Ort, Zeit oder Atmosphäre spielen dann eine Rolle. Das Projekt BAEM! Queere Bildungs-, Antidiskriminierungs- und Empowermentarbeit in Mecklenburg-Vorpommern lokal verankern trägt zum Verständnis und Respekt füreinander bei und vermittelt gleichzeitig Grundlagenwissen über queere Vielfalt und antidiskriminierendes Handeln. Ein zentraler Aspekt dieser Antidiskriminierungsarbeit ist es, Menschen mit Diskriminierungserfahrungen zu stärken. In praktischen und künstlerischen Empowerment-Workshops finden dabei queere, oft mehrfachdiskriminierte Personen einen Raum, um ihre Erfahrungen selbstbestimmt auszudrücken.

Mit dem ersten Disability & Mad Pride Festival am 7. Mai 2022 im Greifswalder Zentrum Straze sollen Menschen mit und ohne Behinderung einen Raum erhalten, einander besser kennenzulernen. Miro Goy ist an der Planung und Durchführung des Festivals beteiligt. Im Gespräch geht es um Barrierefreiheit und die Rolle von Zeit.

Welches Anliegen steckt hinter dem Disability & Mad Pride Festival in Mecklenburg-Vorpommern?
Es geht darum, unsere Erfahrungen als Personen, die behindert und verrückt sind beziehungsweise von der Gesellschaft so wahrgenommen werden, selbstbestimmt zu erzählen. Für uns zählt nicht nur das, was am Ende der Veranstaltung rauskommt. Der ganze Prozess des gemeinsamen Organisierens ist ein Lernen und Ausprobieren, wie wir mit unseren sehr unterschiedlichen Erfahrungen und Voraussetzungen zusammenarbeiten können.

Während die Vorbereitungsgruppe fast ausschließlich aus Menschen besteht, die selbst Ableismus erfahren, sind zu dem Disability & Mad Pride Festival auch nicht behinderte Menschen eingeladen. Wir hoffen, dass die Veranstaltung einen Beitrag dazu leistet, die Wahrnehmung von behinderten Menschen in der Öffentlichkeit zu verändern.

Was ist Ihnen am Disability & Mad Pride Festival wichtig?
Mit unserem Projekt wollen wir Empowerment von und für Menschen erreichen, die Ableismus erfahren – sich auszutauschen, sich öffentlich gegen Diskriminierung zu stellen, Erlebtes selbstbestimmt zu erzählen und die eigene behinderte Kultur zu zelebrieren, dabei Erfahrungen von Selbstwirksamkeit und Zugehörigkeit zu ermöglichen.

Im Alltag treffen Menschen mit Behinderung oft auf Ableismus, das heißt, sie werden aufgrund von körperlichen, geistigen und psychischen Fähigkeiten diskriminiert. Vorurteile und oberflächliche Annahmen führen dazu, dass Menschen einfach für andere Personen entscheiden, ohne diese selbst zu fragen.

Das Veranstaltungsplakat zeigt eine bunte Zick-Zack-Straße sowie den Titel "Wir wollen mehr! Behindert und verrückt feiern in Greifswald".
Plakat des Disability & Mad Pride Festivals in Greifswald, Grafik: BAEM!

Welche Ideen gab es noch, um Vielfalt in Greifswald sichtbar, nahbar, erfahrbar zu machen?
Ursprünglich haben wir eine Demonstration durch die Stadt geplant. Wir stellten jedoch fest, dass eine Demonstration für viele von uns nicht barrierefrei ist. Entweder sind Wege nicht gut befahr- oder ertastbar und die Unübersichtlichkeit der Demo, die Länge der Strecke und die vielen Menschen sorgen für Stress oder Reizüberflutung.

Unsere nächste Idee war dann ein Fest an einer festen Stelle in der Innenstadt, so dass auch zufällig vorbeikommende Menschen unsere Veranstaltung wahrnehmen. Wir haben jedoch keinen zentralen Platz gefunden, der für uns alle wirklich barrierefrei ist. Wir hätten außerdem viel Infrastruktur selbst aufbauen müssen, um zum Beispiel Ruheräume oder barrierefreie Toiletten bereitzustellen.

Am Ende haben wir uns dann für die Straze als Veranstaltungsort entschieden, ein soziokulturelles Zentrum, in dem wir als Projekt auch unsere Büroräume vor Ort haben. Dort ist vieles an Infrastruktur vorhanden und wir können uns besser auf die inhaltliche Gestaltung der Veranstaltung konzentrieren.

Was war wichtig für die Planung?
Vor allem eine Sache: Zeit. Es gibt in der Behindertenrechtsbewegung das Konzept "crip time": Unsere Zeitrechnung ist eine andere als die von nicht behinderten Menschen.

Wir brauchen in unseren digitalen Treffen Zeit für das Dolmetschen zwischen Gebärdensprache und Lautsprache. Zeit, um zu erzählen, was auf dem Bildschirm zu sehen ist. Zeit, um den Chat vorzulesen, wenn eine Person schriftlich per Chat teilnimmt. Wir brauchen viele Pausen.

Wir brauchen auch außerhalb der Treffen Zeit, um beispielsweise eine dolmetschende Person zu organisieren. Wir brauchen Zeit, um über unsere Bedarfe zu sprechen. Wir brauchen Zeit, um Missverständnisse zu klären, weil unsere Kommunikationsweisen so unterschiedlich sind.

Sich diese Zeit zu nehmen, bringt uns zusammen. Es ist notwendig für die gemeinsame Planung. Gleichzeitig war und ist es eine große Herausforderung – besonders, weil wir auch so viele tolle Ideen haben, die wir am liebsten alle realisieren wollen.

Wie sorgen Sie für Barrierefreiheit während der Veranstaltung?
Wir sind noch dabei, ein Konzept für die Barrierefreiheit zu erarbeiten. Fest geplant ist bereits:

  • Es wird gedolmetscht zwischen deutscher Gebärdensprache und deutscher Lautsprache – nicht nur für das Bühnen- und Workshop-Programm, sondern auch für den Austausch und Small Talk.

  • Es gibt eine Audiodeskription für das Bühnenprogramm. Das Programm wird in Punktschrift und in Schwarzschrift bereitgestellt. Es gibt ertastbare Lagepläne auf Schwellpapier. Die Innenräume sind rollstuhlgerecht und es gibt eine rollstuhlgerechte Toilette. Es gibt einen Ruheraum und eine feste Ansprechpersonen für Awareness, Fragen und Assistenz.

Wir werden auf jeden Fall auch Corona-Sicherheitsmaßnahmen treffen, auch wenn die offiziellen Regelungen bis zur Veranstaltung gelockert werden.

Was könnte denn eigentlich beim Thema Barrierefreiheit im Alltag besser laufen?
Es gibt viele Listen und Handreichungen mit Tipps, um ganz verschiedene Formen von Angeboten barrierefreier zu gestalten. Oft finden nicht behinderte Menschen Barrierefreiheit sogar sehr wichtig, aber sie fällt letztlich dann doch in der Prioritätenliste runter. Dass Barrierefreiheit nicht priorisiert wird, ist eine Auswirkung von strukturellem Ableismus. Es ist leider gesellschaftsfähig, dass eben kein Geld oder keine Kapazitäten für Barrierefreiheit vorhanden sind.

Dadurch, dass viele behinderte Menschen an der gesellschaftlichen Teilhabe gehindert werden, fällt ihre Abwesenheit nicht behinderten Menschen oft gar nicht auf. Manchmal wird sogar davon ausgegangen, bestimmte Veranstaltungen oder Themen würden behinderte Menschen gar nicht interessieren.

Um mehr Barrierefreiheit zu schaffen, müssen solche ableistischen Denkweisen verändert werden. Dazu wollen wir mit unserem Festival beitragen.


Veröffentlicht im April 2022