Der Titel zeigt Schwarze, afrikanische und afrodiasporische Menschen in ihrer Vilefalt.

Anti-Schwarzen Rassismus sichtbar machen und bekämpfen

Der Afrozensus bildet die Lebensrealitäten Schwarzer, afrikanischer und afrodiasporischer Menschen in Deutschland ab.

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In Deutschland leben über eine Million Menschen afrikanischer Herkunft. Über ihre Lebensrealitäten und Diskriminierungserfahrungen gibt es bisher jedoch wenig wissenschaftliche Daten. Der Verein Each One Teach One (EOTO e. V.) möchte das ändern. In Zusammenarbeit mit Citizens for Europe hat die Schwarze Selbstorganisation daher den Afrozensus ins Leben gerufen.

Im Jahr 2020 durchgeführt, ist dieser die erste größere Erhebung unter Schwarzen, afrikanischen und afrodiasporischen Menschen in Deutschland. Die Studie soll Aufschluss geben über das Leben der Menschen in Deutschland, ihr Engagement und ihre Diskriminierungserfahrungen.

Warum ist der Afrozensus so wichtig?

Die Forschungsgruppe um die federführende Organisation EOTO kennt als Teil der Schwarzen Community die Lebensrealitäten und Diskriminierungserfahrungen Schwarzer, afrikanischer und afrodiasporischer Menschen in Deutschland. Daher war die Motivation der Forschenden, die Erfahrungen der Menschen mit Anti-Schwarzen Rassismus in seiner Differenziertheit darzustellen und ihnen mit dem Afrozensus eine empirische Basis zu geben. Gleichzeitig "wollten wir auf einer analytischen sowie wissenschaftlichen Basis herausfinden, wie wir unsere eigene Arbeit verbessern können oder wo wir uns besser vernetzen müssen", sagt Daniel Gyamerah, Vorstand von EOTO und Mitglied des Forschungsteams.

Außerdem ging es darum, "die Lebensrealitäten der Menschen in ihrer Vielfalt sichtbar zu machen und darzustellen, welche wichtigen politischen Forderungen sie bewegen und wie es beispielsweise um das Vertrauen in bestimmte Institutionen, wie der Polizei, bestellt ist", ergänzt der Politikwissenschaftler Joshua Kwesi Aikins von Citizens For Europe.

Die Themen für den Afrozensus stellten die Forschenden durch Konsultationen mit den Communitys und aufgrund eigener Erfahrungen zusammen. Die Probanden wurden über die Communitys kontaktiert. Neben dem großangelegten Online-Fragebogen zu fünf Themenbereichen führte die Forschungsgruppe zusätzlich Fokusgruppen- und Experteninterviews. Dabei wurden sie von der Alice-Salomon-Hochschule Berlin und dem Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung methodisch beraten.

Über 90 Prozent der Befragten wird nicht geglaubt, wenn sie von rassistischen Erlebnissen berichten.

Die Ergebnisse bilden das ab, was Schwarze Menschen seit Langem kritisieren: Rassismus beeinflusst ihre Lebensrealität in allen untersuchten Lebensbereichen. Es gibt klare wiederkehrende Muster und Mechanismen, durch die sich Anti-Schwarzer Rassismus auszeichnet (siehe Bildergalerie), wie beispielsweise die rassistische Zuschreibung der angeblich freien Verfügbarkeit von schwarzen Körpern oder das Muster der Fremdverortung, welche Schwarzen Menschen die Zugehörigkeit zu Deutschland abspricht oder das Muster der Kriminalisierung. Außerdem zeigt die Studie: Schwarzen Menschen wird nicht geglaubt, wenn sie von rassistischen Erlebnissen berichten.

Afrozensus 2020

Download Studie

Der Titel zeigt Schwarze, afrikanische und afrodiasporische Menschen in ihrer Vilefalt.

Im Afrozensus wurden auch Teilgruppenanalysen durchgeführt und Gruppenunterschiede untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass es unter Schwarzen, afrikanischen und afrodiasporischen Menschen Gruppen gibt, die besonders von Diskriminierung betroffen sind. Dazu gehören Menschen mit Beeinträchtigung und/oder Behinderung, trans*, inter* und nicht-binäre Menschen sowie Schwarze Menschen mit zwei afrikanischen oder afrodiasporischen Elternteilen. Auch Frauen erleben häufiger Anti-Schwarzen Rassismus als Männer. Es wird deutlich, Schwarze, afrikanische und afrodiasporische Menschen sind von Mehrfach-Diskriminierung betroffen. Diese differenzierten Erkenntnisse sind auch für die Arbeit Schwarzer Selbstorganisationen wichtig. So können sie berücksichtigen, welchen besonderen Unterstützungsbedarf einige Gruppen brauchen und welche Angebote die Organisationen dahingehend stärken müssen.

Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Die Ergebnisse zeigen, viele Betroffene haben bereits schlechte Erfahrungen mit Institutionen und staatlichen Stellen gemacht. Die Studie kommt daher zu dem Fazit, dass eine Professionalisierung und Sensibilisierung im Umgang mit Anti-Schwarzen Rassismus notwendig ist: Staatliche Stellen und Institutionen müssen Anti-Schwarzen Rassismus ernst nehmen und zu einem richtigen Umgang damit befähigt werden. Dafür ist es erforderlich, sich auch mit den internen diskriminierenden Strukturen kritisch auseinanderzusetzen.

Gleichzeitig sei eine Institutionalisierung im Umgang mit Anti-Schwarzen Rassismus notwendig, führt Joshua Kwesi Aikins weiter aus. Eine Maßnahme kann dabei beispielsweise der Einsatz unabhängiger Beschwerdestellen sein, bei denen Betroffene von Anti-Schwarzen Rassismus Diskriminierungserfahrungen durch Polizei oder Bildungseinrichtungen melden können.

Die Handlungsempfehlungen im Afrozensus richten sich nicht nur an Verantwortliche aus Politik und Verwaltung, sondern auch an die eigenen Communitys, Selbstorganisationen und Netzwerke. Der Afrozensus verdeutlicht, dass Schwarze, afrikanische und afrodiasporische Befragte im Vergleich zur Gesamtbevölkerung in Deutschland überdurchschnittlich engagiert sind. Gleichzeitig zeigt der Afrozensus, dass Initiativen, die dazu geführt haben, Anti-Schwarzen Rassismus zu verringern, mit der Empowerment-Arbeit von Schwarzen Selbstorganisationen zusammenhängen. Daher fordert er, die Strukturen Schwarzer Selbstorganisationen politisch zu stärken, indem beispielsweise zivilgesellschaftliche Empowerment-Aktivitäten förderfähig werden.

Wie geht es weiter?

Die Forschenden möchten nun in den Austausch mit der Community gehen. Der Bericht soll auf Englisch und Französisch übersetzt und gedruckt werden und die Daten interaktiv zugänglich gemacht werden. "Es geht darum, die Daten vorzustellen, Gedanken einzuholen und herauszufinden, was der Community wichtig ist", beschreibt Daniel Gyamerah die nächsten Schritte.

Außerdem gibt es bereits Pläne für eine Folgestudie. Diese soll den Fokus auf Resilienz und Empowerment legen, denn in den Studienergebnissen fiel auf, wie groß die Widerstandskraft der betroffenen Menschen ist, mit Diskriminierungssituationen umzugehen, und wie bewusst sie teilweise versuchen, sich zu stärken und gleichzeitig zu schützen.


Veröffentlicht im März 2022

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